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"Containertagebuch 8"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Inzwischen (Stand 26.11.) pfeifen es nicht nur die Spatzen von den Dächern, sondern auch der NDR, dass wir ins Bieberhaus umziehen: Klick hier!
Ich weiß sogar schon einen Termin, aber den verrat ich nicht – wer es wissen muss, der weiß es eh.

   
         
27.11.  

Eine Freundin mit arabischer Muttersprache hilft mir heut bei den Syrern und Irakern, bei den Afghanen müssen wir improvisieren.
Der nächste Patient ist Afghane, da muss sie passen.
"Salam aleikum". Antwort dito.
"English, Deutsch ?" Verneinen.
Patient hustet demonstrativ. Ich fühle ob er fiebert – im Regelfall nicht.
Manchmal funktioniert ja unser Stirnthermometer – die Batterien entladen sich schnell. Ansonsten bin ich kein Freund von langen Thermometer-Aktionen, womöglich noch rektal (für Nichtmediziner: im Hintern, was am genausten ist), das lässt sich eh nicht durchsetzen und hält nur auf. Während meiner Famulatur 1980 in Kilimatinde/Tansania hatte das ganze Krankenhaus nur zwei Thermometer, da hieß es normalerweise: Fieber oder kein Fieber. Später hab ich bei meinen Heidelberger Kliniknachtwachen – es war damals noch üblich und Aufgabe der Nachtwächter, morgens die ganze Station durchzumessen, dazu Puls und Frage nach Stuhlgang – vor dem Ablesen mit der Hand an der Stirn "gemessen" und lag mit meiner Schätzung selten um mehr als ein halbes Grad daneben.

   
         
    Gut, er hat also kein Fieber.
Ich nähere mich mit Lampe und Mundspatel, im Regelfall macht er dann den Mund weit auf, sogar Kinder tun das. Ggf. streck ich ihm die Zunge raus, das macht er nach. Manchmal ist der Rachen gerötet, oft nicht – interessanterweise hab ich seit Beginn meiner Containerkarriere noch keine vereiterten Mandeln gesehen.
Ich drücke auf Nasennebenhöhlen, später (vorsichtig) auf die Augäpfel, bei geschlossenen Augen.
"Dar mikoneh ?" Tut’s da weh ?
Tut es meistens nicht.
Ich zeige ihm das Stethoskop, sag dass ich ihn abhören will (auf Deutsch, einfach damit er das Gefühl hat dass man mit ihm redet) und deute das Anheben der Oberbekleidung an. Das dauert ein bissl, denn es sind im Regelfall mehrere Schichten.
   
         
   

Ich hör ihn ab, sag vielleicht "nafas" (Atmen oder Atmung, ähnlich wie das türkische "nefes") oder atme selber etwas tiefer, damit er das nachmacht. Wenn ich fertig bis: "Tashakor", danke (bei Arabern: "Shukran").
Wenn er Schmerzen andeutet, geb ich ihm ein paar Paracetamol-Tabletten, ansonsten Nasenspray, wenn die Nasenatmung behindert ist, das hört man ja. Wenn ich denke, dass er Antibiotika braucht (das denke ich selten) suche ich mir einen Dolmetscher oder rufe H. an, die zumindest schon wieder reden kann (hoffentlich kommt sie bald wieder), und dann würde er auch etwas Schriftliches mitkriegen.
Er bekommt noch ein paar Hustenbonbons und ich sag ihm, dass er viel trinken soll. Mach dazu die Geste des Trinkens und sage "Tschai" (Tee) – dass ich damit Bier meine, ist bei diesem kulturellen Hintergrund unwahrscheinlich.
Ich sag "OK, salam aleikum" und "choda hafis" (heißt bei den Afghanen sowas wie tschüss), und der Patient geht, bedankt sich vielleicht noch mit "tashakor" und auch "choda hafis".

   
         
    Meine Praxiskollegin meinte, das hier sei "Dritte-Welt-Medizin". Da hat sie wohl Recht. Aber ich denke, viel mehr braucht es in dieser Situation auch nicht, schließlich sind die meisten Leute auf dem Sprung. Und man muss halt auseinander halten, wann wird’s gefährlich, bzw. wann muss der Mensch zumindest im Krankenhaus vorgestellt werden. Wobei ich da bei Kindern schneller dabei bin als bei Erwachsenen, bei Schwangeren sowieso, und die meisten das auch akzeptieren, natürlich nur mit ausreichender Erklärung (das geht dann nur mit gescheiten Dolmetschern, zur Not am Telefon).    
         
   

Wie zum Beispiel bei dem jungen Syrer mit Nierensteinen. Er wusste, dass er welche hatte, da in der Türkei schon mal damit behandelt. Und ich weiß, dass es tierische Schmerzen sind, die mit einer Diclofenac-Spritze oder Tramadol-Tabletten nicht hinreichend weggehen. Aber seine beiden Kumpels wollten unbedingt mit ihm weiter, in ein ostdeutsches Aufnahmelager, weil dort schon Angehörige warten.
Über dieses Lager hatte ich in der TAZ schon einiges Unschöne gelesen.
Gut, vielleicht haben sich die Umstände gebessert. Aber es liegt am Arsch der Welt ("am Ende der Welt", übersetzt es die Dolmetscherin), es fährt selten ein Bus und am Wochenende (wir haben Freitagmittag) noch seltener. Und dann Stunden im Bus.
Ende vom Lied: Sie stimmen einer Krankenhaus-Einweisung zu und ich ruf den Rettungswagen. Solang bleibt der Patient im Container, einen seiner beiden englischsprachigen Begleiter schicke ich raus, um die Sanitäter einzuweisen – funktioniert super. Und nach einer kurzen Debatte akzeptiert die RTW-Besatzung auch beide Begleiter, normalerweise nehmen sie nur einen mit.

   
         
    Mein Wochenende ist normalerweise "flüchtlingsfrei", wenn nicht grad eine Demo zu dem Thema ist. Oder, wie jetzt grad, eine Fortbildung, mit dem Titel "Flüchtlingsmedizin". über 200 Leute sind da, der alte Hörsaal des "Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin" ist proppevoll. Die meisten, zum Teil von weit angereist, betreuen Erstaufnahmeeinrichtungen, zum Teil bezahlt, zum Teil ehrenamtlich. Ich hab ein bisslwas protokolliert – wen’s interessiert, kann mich anmailen.*    
       
    Bis demnächst !    
         
   

* Das Protokoll eignet sich wohl ausschließlich für Mediziner. ABer vielleicht kann man’s ja an einen weitergeben, der im Flüchtlingsbereich tätig ist.

Weil wir ES’s eMail-Adresse nicht zeigen wollen, gibt es dieses Protokoll als PDF ——> Klick hier!

   
    Red.    
         
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Letzte Änderung:
31/12/17


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