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"Containertagebuch 13"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
       
16./18.12.2015   Vor fast zwanzig Jahren, ich war Hausarzt in Norderstedt, verbreitete sich ein Gerücht im hiesigen Buschfunk: Unser Doc sammelt Schlümpfe! Erklärungen zum Zustandekommen würden jetzt zu weit führen (es gibt eine), auf jeden Fall sammelte sich erst auf meinem Schreibtisch, später auf der benachbarten Kommode, weil Schreibtisch zu voll, eine ansehnliche Schlumpftruppe, oft von Kindern geschenkt.    
         
   
         
    Nach Renovierung und Praxisübergabe im Sommer dieses Jahres wurde diese Sammlung heimatlos, weil ich zuhause nicht wusste, wohin damit – bin bekennender Messie –, und es stand schon alles voll. Dann kam ich zu meinem neuen Wirkungsort und die Schlümpfe an ihren neuen Platz.    
         
   
    Das sind jetzt noch nicht alle …    

   
    … und die zwei Tage später auch nicht mehr alle da.    
         
   

Der Schlumpfschrumpf ist durch die Flüchtlingskinder verursacht, die sich zwischendurch bedienen, so dass sich die guten Stücke jetzt in alle möglichen Ecken Mittel- und Nordeuropas verbreiten. Denn wenn ein Kind zulangt, dann will ich ihm (im Gegensatz zu den Gepflogenheiten meiner alten Praxis) das nicht wieder wegnehmen. Und ein paar sind noch zum Nachlegen da.

   
         
   

Die Möblierung unserer "Praxis" wie auch die der ganzen Bieberhaus-Etage macht Fortschritte, so dass ich inzwischen Möbelspenden auch schon ablehnen musste. Leere Räume gibt’s kaum noch, in allen Zimmern, wenn sie nicht bestimmten Funktionen wie KITA, Lager, Kleiderkammer, Büro oder Helferrückzugsraum vorbehalten sind, liegen oder sitzen Menschen auf Bierbänken, Decken oder auf allem auf dem man lagern kann. Im Flur rennen Kinder herum, und es ist ein ständiges Kommen und Gehen von meist schwer bepackten Menschen.

   
   

 

   
   

Pro "Sprechstunde", die für einen Kollegen/Kollegin meistens vier Stunden dauert, kommen fünfzehn bis dreißig Patienten, das ist noch gut zu schaffen – in meiner alten Praxis waren es oft mehr. Und viel mehr Schreiberei.
Wenn wir jemandem doch mal eine Info für den nächsten Arzt mitgeben müssen, dafür haben wir inzwischen vorgedruckte mehrsprachige Formulare, mit Durchschreibmöglichkeit. Und ab nächste Woche gibt’s ein dienstliches Mobiltelefon, so dass wir nicht mehr auf unsere eigenen angewiesen sind oder nur noch auf unser Nummerverzeichnis. Kurz, es wird immer komfortabler.

   
   

 

   
   

Ein Patient von gestern wird mir im Gedächtnis bleiben, ein ca. 60jähriger Bauer aus Afghanistan, der jahrzehntelang Opium-abhängig war. Daheim war das für ihn unproblematisch, er baute das Zeug selber an, und wenn er grad mal nichts hatte, gab es an jeder Ecke Nachschub – so selbstverständlich wie bei uns das Bier am Kiosk oder in der Eckkneipe. Für die Flucht nahm er sich noch einen kleinen Vorrat mit, aber seit sechs Tagen saß er auf dem Trockenen und hatte jetzt scheußliche Muskelschmerzen.

   
   

Von "meinen" Heroinabhängigen weiß ich, dass nach sechs Tagen das Schlimmste schon vorbei ist, und das sag ich ihm. Und dass ich mit Opiatabhängigen Erfahrung habe. Irgendwelche Ersatzstoffe wie viele der Abhängigen von hier will er nicht, hätte ich auch nicht da. Er bekommt Novaminsulfontabletten, Diclofenacsalbe und gute Wünsche, dass es bald besser wird.
Vielleicht kommt er ja wieder, das passiert jetzt öfter.

   
       
    Bis demnächst !    
         
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Letzte Änderung:
31/12/17


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