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"Containertagebuch 17"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
       
   
Mitte Januar sieht man das Bieberhaus kaum,
wenn man aus meiner U-Bahn-Station kommt.
   
   

 

   
21.1.2016  

Es hat sich etwas Routine eingestellt. Morgens werden die Leute aus ihren Schlafstellen gebracht, „meine“ Dolmetscherin Habibeh ist jetzt eine der vier Festangestellten des Paritätischen Wohlfahrtsverbands und für die Sicherheit im Haus verantwortlich, d.h. sie wacht  unten am Eingang, während ich eine Etage drüber vor mich hin doktore und die Schwätzchen während der patientenfreien Pausen vermisse. Gelegentlich hole ich sie dazu, sonst suche ich mir spontan einen Dolmetscher, meistens einen Flüchtling oder einen Helfer, der oft auch Flüchtling ist, nur schon ein paar Monate länger im Land. Der kann mir allerdings – im Gegensatz zur „Aktivistin der ersten Stunde“ und mit den Gepflogenheiten der Menschen aus den Fluchtregionen vertrauten Habibeh – keine Hintergrundinformationen geben.

Auch die neu in Hamburg Angekommenen bleiben jetzt oft mehrere Tage im Bieberhaus, denn ihre Weiterreise gestaltet sich oft schwierig. Meistens handelt es sich um auseinander gerissene Familien, deren einer Teil, im Regelfall der Vater, schon irgendwo in Skandinavien angekommen ist, während Mutter mit Kindern jetzt hier gucken muss, wo sie bleibt, und ob eine Familienzusammenführung nicht doch möglich ist. Diese zu verweigern, wie es jetzt verschiedene Länder tun in dem blinden Wahn, die Flüchtlingszahlen etwas nach unten zu treiben, ist strunzdumm und kontraproduktiv, denn alleinstehende Männer sind, siehe „Köln“, am ehesten für dumme Gedanken und deren Umsetzung in noch dümmere Taten anfällig – Familienzusammenführung ist effektive Verbrechensvorbeugung, aber das schnallt ein Herr Seehofer nicht.

Dass Flüchtlingen in den „Camps“, wie die in Hamburger Bürokratendeutsch „Zentrale Erstaufnahmeeinrichtungen“, kurz „Zea’s“ getauften Massenquartiere sowohl in Arabisch als auch Farsi heißen, die Decke auf den Kopf fällt, ist mehr als nachvollziehbar. Und wenn sich dann einige hier und anderswo als Helfer engagieren, so ist das sowohl für sie selbst als auch für die anderen Helfer von Vorteil. Einer als Patientin gekommenen jungen Frau, die in Afghanistan zwei Jahre Medizin studiert hat und sowohl Englisch als auch schon nach einem Monat Selbststudium passables Deutsch spricht, biete ich spontan an, bei mir mitzuhelfen, was sie auch bereitwillig tut – ihre erste Aufgabe ist es, eine mit Bauch- und Brustschmerzen zusammengebrochene Mutter ins Krankenhaus zu begleiten und zu dolmetschen. Zwei Stunden später bekomme ich eine Mail von ihr: „Sie genehme Medikament und jetzt besser“*.

   
    * Mit dem Zitat „Sie genehme Medikament und jetzt besser“ will ich mich keinesfalls über meine Neu-Assistentin lustig machen.
Im Gegenteil – ich finde es bemerkenswert, dass sie nach wenigen Wochen autodidaktischen Deutsch-Lernens (denn den beschleunigten Deutschkurs gibt’s nur für Syrer, nicht aber für Afghan/inn/en) bereits in der Lage ist, das was sie sagen will mitzuteilen!
   
       
    Bis demnächst !    
         
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Letzte Änderung:
31/12/17


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