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"Containertagebuch 26"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Am Dienstag, das Arztzimmer war noch nicht besetzt und ich hätte gar keinen Dienst gehabt, rief mich die stellvertretende Bieberhaus-Leiterin Habibeh an und fragte mich, wo wir Schwangerschaftstests hätten. Es stellte sich heraus, dass eine junge Frau, die vielleicht schwanger sei, jetzt plötzlich massive Blutungen hatte. Ich riet, nicht nach den Teststreifen zu suchen, sondern den Rettungswagen zu rufen und die Frau als Notfall in eine gynäkologische Abteilung zu schicken – die Feuerwehr, die das in Hamburg meistens macht, weiß dann schon Bescheid.
Am Mittwoch war die Frau dann wieder da, anscheinend sei sie nicht oder nicht mehr schwanger, und es ging ihr besser, die Blutungen ließen nach.

   
    Unsere Dolmetscher/innen, die uns Migranten in Aktion schickt, sind zwar sehr engagiert, aber wenn sie Farsi sprechen, kommen meistens arabischsprachige Patienten und umgekehrt. Die vom Mittwoch sprach jetzt Farsi, und die Patientin arabisch. Die syrischen Helfer, fast alle junge Männer, die gebrochen Deutsch oder Englisch sprechen, sind bei einer Frau und diesem Thema keine große Hilfe, also bastelte ich mir einen Spickzettel, gleich zweisprachig, weil demnächst vielleicht arabische Dolmetscherin und afghanische Patientin.    
   
         
   

Jetzt lag der Brief für mich unerreichbar in der Jackentasche des irgendwo in der Stadt weilenden Ehemannes. Zum Glück kam ich gestern, obwohl Donnerstag sonst nicht im Dienst, wegen des Ministerinnenbesuchs (dazu später) wieder ins Bieberhaus, und dann war zumindest der Brief da. Es stand nicht mehr drin als ich schon vermutet hatte, die eben 18jährige Frau hatte ihr Kind wohl in der Frühschwangerschaft verloren, und sie sollte demnächst von einem Frauenarzt kontrolliert werden. Das hatte, zumal Blutung weiter rückläufig, bis nach Ostern Zeit, jetzt brauchte die Patientin erstmal Ruhe, dazu bot ich ihr die Liege im Arztwartezimmer an. Der arabischsprachige Helfer, der sich dort niedergelassen hatte, ignorierte erstmal die Bitte seiner Kollegin, den Raum zu verlassen, erst auf mich hörte er.
Im Umgang mit Frauen haben einige Helfer noch Nachholbedarf.

Am Donnerstag, ich war wegen des hohen Besuchs extra früher gekommen, war erstmal ordentlich zu tun. Ein Fünfjähriger mit Kopfplatzwunde, irgendwo angestoßen, die Blutung stand schon, aber die Wunde musste genäht und eine Gehirnerschütterung ausgeschlossen werden. Also Rettungswagen nach Heidi-Kabel-Platz 2, 20099 Hamburg, damit’s der Zentralist in seinen Computer eingetippt kriegt – und ohne Computer fährt kein Auto los.
Gleiche Übung eine Stunde später. Eine 40jährige Schwangere, kann kaum noch laufen und kriegt schlecht Luft, Blutdruck 180/110: Stinkt nach EPH-Gestose, einer üblen Schwangerschaftskomplikation. Dass sie auch noch zuckerkrank ist, kriegen wir erst mit, als der Rettungswagen schon losgefahren ist, das hätte meine Entscheidung eh nicht mehr beeinflusst.

Rettungswagen weg, Ministerin kommt: Die Staatsministerin und Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, Aydan Özoguz (SPD), gibt uns die Ehre. Verbandsleitung, Moscheevorsitzender, Presse – alles da, Leibwächter allerdings nicht; mit Übergriffen wird nicht gerechnet und es gibt auch keine, die Atmosphäre ist friedlich und die Ministerin interessiert.
   

Hoher Besuch!

     
   

(links, mit der beigen Jacke)

   
   

Sie wird durch alle Abteilungen geführt, lässt sich alles genau erklären und hört interessiert zu.
Irgendwann steht sie auch im Arztzimmer, ich erzähle womit die Leute hier kommen, auch die „harten“ Geschichten mit den verkauften Nieren und dem Erschossenen mit dem Baby auf dem Arm, das seitdem hustet. Komme irgendwann in Rage, erkläre, dass es eine große Wut bei uns Helfern gibt wegen der Grenzblockaden und der Tausenden in Griechenland Gestrandeten, dass nicht nur in Brüssel Terror ist, sondern auch in Idomeni. Und dass ich denke, dass wir hier demnächst wieder mehr Arbeit bekommen, denn irgendwie werden die Leute einen Weg zu uns finden – eine komplette Abschottung hat nicht mal die DDR geschafft.

Sie hört mir aufmerksam zu, auch wenn ich ihren Ministerkollegen überhaupt nicht schone.
   
         

   
    Der Zettel in der Hand von Frau Özoguz
ist der Link zu meinem Containertagebuch
   
   

 

   
    Und zum Schluss gibt's noch ein Gruppenbild:    
   
         
   

Frau Özoguz hat einen eng getakteten Zeitplan, am späten Vormittag ist sie wieder weg, und der Ehemann der ins Krankenhaus geschickten Schwangeren will wissen, was jetzt mit seiner Frau ist. Zum Glück schreibe ich in solchen Fällen nicht nur den Vor-, sondern auch den Familiennamen auf, zumal die Patienten in den Aufnahmekarteien unter ihren Nachnamen gelistet sind – für meine normale Dokumentation reicht der Vorname und das angegebene Alter. Shu ismek, wie heisst Du, kim sene amrak, wie alt bist Du (arabisch), das verfolgt mich manchmal noch beim Einschlafen.

Diesmal kann die Krankenhaustelefonistin die Patientin nicht finden. Ich rufe nochmal die Feuerwehr an, wo sie die Frau hingebracht haben. Ja, ins Marienkrankenhaus. Nach langem Suchen stellt sich heraus, dass sie inzwischen nicht mehr in der Frauenklinik ist, da Schwangerschaft intakt und dem Kind nichts fehlt, sondern in der Inneren wegen Ödemen und Hochdruck. Weiter komme ich nicht durch, da in der Abteilung „der Bär steppt“, ich bekomme lediglich eine interne Durchwahlnummer zur Dienstärztin, die ich nicht weiter geben darf.

Erst am Nachmittag, lang nach „Feierabend“, erreiche ich die Kollegin, die mir noch keine Angaben machen kann, nur dass die Frau bisher stabil ist. Jetzt kann ich auch den Diabetes „nachreichen“, den ich bei der Einweisung noch nicht kannte. Und dass sie sich bis 18 Uhr überlegen müssten, ob sie die Patientin über Nacht da behalten, weil danach im Bieberhaus niemand mehr erreichbar ist, der sie abholen könnte.
   
       
    Bis demnächst !    
         
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Letzte Änderung:
31/12/17


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