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"Containertagebuch 27 b/c"
Berichte |
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Zwei Berichte des Dannenberger Arztes CTB 27 b: |
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30.3.2016 – nach Idomeni … |
Heute hat es mich richtig erwischt. Heute hat die ganze Wucht
des Elends zugeschlagen. Vormittags haben wir Medikamente und
Verbandsmittel sortiert, eigene mitgebrachte und gespendete und in
frisch gekaufte Sortierkisten nach Anwendungsgebieten verpackt. Plötzlich stand eine griechische Zahnärztin vor uns und
fragte, ob wir Medikamente bräuchten. Inzwischen hat sich ja ein Bild
herauskristallisiert, was am dringendsten oder häufigsten benötigt
wird. Wir gaben dies in Auftrag. Evtl. erhalten wir in den nächsten
Tagen von einer griechischen Apotheke eine entsprechende Spende. Schön
wär’s. Wir sind dann nach Idomeni gefahren, um das abseits gelegene Jesidencamp zu suchen, zu dem man uns gebeten hatte. Es sollte sich außerhalb des Hauptcamps befinden und etwa 400 Menschen umfassen. Die Versorgungssituation sollte desaströs sein – kann man so sagen! |
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Nach vielen abenteuerlichen Irrungen und Wirrungen im Hauptcamp ist es uns gelungen, den Ort zu finden. Das Auto wurde wieder maximal strapaziert, beim Überwinden der steilen Böschungen und tief gefurchten Ackerflächen. Und unsere Nerven beim Fahren durch die eng zusammen gedrängte Menschenmenge. Man muss es sich so vorstellen, als wolle man am letzten Samstag vor Weihnachten durch die Fußgängerzone einer Hauptstadt mit einem Kleintransporter fahren und müsste dann auch noch unglücklicherweise mehrfach wenden. | ||||
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Angelangt fuhren wir in einen landwirtschaftlichen Stallkomplex, in dem die Menschen hausen. Die Stahlrohrbegrenzungen der Tierboxen sind mit Planen oder Decken notdürftig behängt. Damit sind einzelne Abteile für die Familien abgetrennt. Auf dem Boden liegen Decken und darauf die Menschen – vom Säugling bis zum Greis. Z. T. sind kleine Igluzelte aufgestellt, in denen 4-5 Familienangehörige hocken. In einem Abteil ist der Boden Haufen an Haufen mit Kot und Urin bedeckt. Es gibt weder mobile Toiletten, noch sonst eine hygienische Toilettenversorgung. So verwunderte es auch nicht, dass viele Kinder und Erwachsene über Durchfall, Erbrechen und Blasenreizung/-entzündung klagten. Auch sahen wir wieder viele Menschen mit Halsschmerzen, Fieber, Husten, verstopfter Nase, Ohrenschmerzen, Hyperventilations-Tetanie, Magenschmerzen, Schwangerschaftserbrechen, Sodbrennen, hoher Blutdruck, Diabetes, Arrhythmie, Augenentzündungen, Aphten, Herpes, tief kariöse Zähne mit entsprechenden Zahnschmerzen, Sonnenbrand, Sonnenallergie und leider erstmals auch Krätze usw. |
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Wir versorgten mehrere frische oder ältere Verletzungen u.a. ein Kind, dessen Hand gerade in einer Tür eingeklemmt gewesen war. Den Fuß eines kleinen Jungen mit einer tiefen bereits älteren Verbrennungsverletzung, die blutende Nase eines Kleinkind, das gerade auf dem Schotter auf die Nase gefallen war. Wir sahen schlecht verheilte Verletzungen, die sicher unter prekären Umständen chirurgisch versorgt worden sind. U.a. nach einer Oberschenkelfraktur nach einem Autounfall, nach einem Sturz auf eine Metallkante, der anscheinend zu einer Teilabtrennung des Unterarms des kleinen Jungen geführt hatte und eine unverheilte Schussverletzung, die der Betroffene nach Angaben seiner Familie an der türkischen Grenze erlitten hatte. Allen gemeinsam waren starke Schmerzen, v. a. in der Kälte der Nächte und beim Laufen der weiten Wege der Flucht und im Camp. Alle waren geduldig und ertrugen die Desinfektion und das Verbinden der Wunden ohne zu klagen. Sogar der Kleine auf dem Bild [noch nicht mitgeliefert! Red.] ließ sich klaglos die böse Entzündung seiner Wange versorgen. |
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Was, wie an den Tagen zuvor, wirklich erschreckte, war der
häufig schlechte Ernährungs- und Entwicklungszustand der Säuglinge.
Sämtliche Fontanellen weit offen, wie bei Neugeborenen. Da ist ohnehin ein böses Dilemma. Angeblich droht in Griechenland eine Strafe von 80.000 €, wenn man einen unregistrierten Flüchtling im Auto mitnimmt. Wir diskutierten bereits unter Ärzten, was zu tun sei im Notfall. Anlass war eine junge Frau mit Verdacht auf Blinddarmentzündung, wo der offizielle Transport sehr lange gedauert hätte und mein Kollege Andreas mit der Patientin einfach zur Klinik fahren wollte, wovon sämtliche Helfer-Innen vor Ort aufgrund der Gesetzeslage abrieten. Ein schrecklicher Gewissenskonflikt für den wir noch keine Lösung haben. Wir verteilten u.a. auch Wasserflaschen an die Fiebernden, die Frauen mit Blasenentzündung, die Kinder mit Durchfall usw. Wir behandelten bis zum Dunkelwerden und erklärten mehrmals,
dass nun Schluss sei, weil wir nichts mehr sahen. Aber es nützte
nichts. Die Schlange an Kranken nahm kein Ende, weiter und weiter
wurden Kinder herbei getragen oder im Rollstuhl geschoben. |
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CTB 27 c: | ||||
Fortsetzung: 2.4.2016 – zweiter Bericht aus Idomeni von Ijos Bietzker |
Die Situation ändert sich rasant. Mal können wir unbehelligt
an die anvisierten Orte unseres Wirkens gelangen, mal verweigert uns
die Polizei die Durchfahrt und lässt uns eine Stunde warten, bis wir
durch fahren dürfen. Warum? Keine Ahnung! Sowieso stelle ich fest, dass chronisch kranke Menschen so gut wie keine Behandlung erfahren. Die entsprechenden Medikamente sind oft nicht verfügbar, die PatientInnen haben mal dies, dann das Präparat bekommen – in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit, nicht der erwünschten Wirkung. Eine Kontinuität der Behandlung ist damit nicht möglich. So sehen wir wiederholt Patient-Innen mit extrem hohen Blutdrücken, Hyperglykämie, Herzrhythmusstörungen. MitarbeiterInnen des UNHCR rufen mich um Hilfe, mich um
PatientInnen mit plötzlich aufgetretenen Psychosen/Manien zu kümmern.
In der Kliniksprechstunde erzählt ein völlig verzweifelter Vater, sein
Sohn sei seit seiner Entführung vor 4 Jahren total verrückt geworden
und benötige dringend Medikamente. Aber niemand hätte diese und hier
würde sich keiner der Ärzte an die Behandlung trauen, er würde mit ihm
immer abgewiesen. Doch nun hat die Polizei das Klinikzelt geschlossen. Wir
dürfen nicht mehr (drin) behandeln. Aargh! Im Klinikzelt werde ich gefragt, ob ich einen Patienten sehen wolle, der eine Angina pectoris, evtl. sogar einen leichten Herzinfarkt habe, sich aufgrund seiner Ängste und Verkennungen, aber im Krankenhaus nicht behandeln lasse. Man habe ihn am Tag zuvor bereits ins Krankenhaus eingewiesen, wegen starker Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den Arm. Dort sei er aufgrund seiner Erkrankung derart ausgerastet, dass man zwar gerade noch die Diagnose einer sofort behandlungsbedürftigen Herzerkrankung stellen konnte. Es zur Behandlung aber gar nicht mehr kam, weil die Polizei zu Hilfe gerufen werden musste, die den Patienten einfach rausschmiss. Der Bruder ist nun sehr besorgt wegen der Herzschmerzen. Ich
suche und finde im gesamten Arzneibestand gerade mal 6 Tabletten eines
geringst dosierten Psychopharmakons – ein winziges Tröpfchen auf den
heißen Stein. Meine Idee, den jungen Mann zu medizieren und dann erneut
ins Krankenhaus zu schicken, lässt sich damit nicht verwirklichen. Für
heute ist eine Kiste (hoffentlich) geeigneter Medikamente angekündigt –
nur gibt’s jetzt keine Klinikzeltsprechstunde mehr. Wir sehen/behandeln (so denn möglich) mir bis dahin nur im
Studium begegnete Erkrankungen, von Krätze über Gonorrhoe bis hin zu
mehreren PatientInnen mit Leishmanose und einem Verdacht auf
Tuberkulose. Auweia, was tun. WhatsApp (Danke lieber Andreas!) muss
helfen. Mitten in die Behandlung eines Patienten platzt mir eine
aufgeregte Menge Menschen, die eine ohnmächtige junge Patientin
reinschleppen und ungeachtet dessen, dass sich im Behandlungsraum ein
Patient befindet, diese auf die Behandlungsliege hinter ihm legen und
eine Panik verbreiten, als sei die junge Frau bereits gestorben.
Schnell die Beine angehoben, langsam kehrt Farbe ins Gesicht zurück und
der Blutdruck steigt in winziges bisschen wieder. In der Hitze hat sie
nichts gegessen und getrunken. Eine dramatische Wendung nimmt die Sprechstunde nochmal, als
ein Patient sämtliche Symptome einer intestinalen/Lungentuberkulose
schildert und sich keine Krankenhausaufnahme organisieren lässt. Er hat
Angst, weil sein Freund 2 Jahre zuvor plötzlich im KH an denselben
Symptomen gestorben ist. Eigentlich sollte alles heute, spätestens
Montag organisiert werden und er erneut in die Sprechstunde kommen. Als
Erstmaßnahme geben wir ihm einen Mundschutz mit. Doch nun ist die
„Klinik“ zu. Er hat kein Handy/Smartphone. Hoffentlich finden wir ihn
wieder. IBAN: DE62 2586 1990 0088 5576 00 BIC: GENODEF1CLZ Kontoinhaber Ottavio Verwendungszweck: Spende Flüchtlingshilfe Joost |
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Bis demnächst ! | ||||
Der Soldan-Bericht 27 b/ c als PDF zum Download: ——> | Klick hier! | |||
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Letzte Änderung: 31/12/17 |
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