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"Containertagebuch 28 a"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
11.4.2016  

Umgekehrt zur derzeit sinkenden Anzahl der Geflüchteten im Bieberhaus wächst die Wut der Helfer/innen über die Blockadepolitik der Bundesregierung. Nicht nur hier, sondern auch in vielen kleinen Orten, in denen mit großem Engagement Aufnahmekapazitäten und Hilfsmöglichkeiten entstanden sind, gibt es Leerstand und Frust. Einige, wie der Dannenberger Arzt Ijos Bietzger, von dem ich im Teil b wieder einen empörenden Lagebericht mitschicke, sind direkt nach Griechenland gefahren, um dort zu helfen, und husten gemeinsam mit Tausenden Unschuldigen das Tränengas wieder aus, das mazedonische Paramilitärs, denen jede Menschlichkeit abhanden gekommen ist, in Schwaden über die Grenze blasen. Wobei sich die Norddeutschen, in vielen Anti-Castor-Demos um Gorleben damit erfahren, noch leidlich schützen können – syrische oder afghanische Babies können das nicht.

   
   

 

   
   

Die Bundesregierung hat die gottverdammte Pflicht, diesem unmenschlichen Drama ein Ende zu bereiten und diese Menschen SOFORT einreisen zu lassen !!! Sonst gibt es Katastrophen in weit schlimmerem Ausmaß als derzeit in Idomeni. Und nicht nur dort – womöglich auch hier.

   
   

 

   
   

Zurück ins Bieberhaus. Für die Idomeni-Hilfstransporte sichte ich unsere Medikamenten- und sonstigen Spenden, und was mit Kleintransportern oder von Flugreisenden mitgenommenen Hilfsgütern mitgehen kann, geht mit. Tatsächlich liegt ja hier einiges herum, was dort nötiger gebraucht wird.

Einige Schutzbedürftige verlaufen sich dann doch hierher. Nicht zuerst in unser Arztzimmer am Ende des Ganges, aber wenn die Patienten nicht zum Arzt kommen, geht halt der Arzt zu den Patient/inn/en. In der KiTa finde ich fast immer etwas zu tun.

   
   

 

   
   

Die 40jährige Khadidja (Name geändert), vielfache Mutter, deshalb meistens in der KiTa anzutreffen, hat keine Kopfschmerztabletten mehr. Das möchte ich genauer wissen und nehme sie mit – ihre Kinder weiß sie beim KiTa-Team gut aufgehoben. Im Arztzimmer stellt sich erstmal heraus, dass ihre Schulter-Nacken-Muskulatur bretthart und entsprechend druckschmerzhaft ist. Dazu berichtet sie, dass sie in Syrien als Arbeiterin auf den Baumwollfeldern unterwegs war und 50kg-Ballen auf dem Kopf überkilometerlange Strecken balancieren musste. Und Angst hat vor einem „Disk“, sie meint einen Bandscheibenvorfall und dass sie dann operiert werden muss. Da kann ich sie beruhigen, ich hatte selber schon einen, das tat zwar weh, so ähnlich wie ihr jetzt, aber operiert werden muss man da normalerweise nicht. Und mit Schmerzmittel und Physiotherapie gehen die Schmerzen langsam wieder weg – außer der Notwendigkeit, auf einem Spezialkissen zu schlafen, ist von meinem Bandscheibenvorfall nichts übrig geblieben.
Ich erklär ihr das mit Habibehs Hilfe, geb’ ihr Schmerztabletten und versprech’ ihr, nach einer Physiotherapeutin zu suchen. Sie bedankt sich ausführlich – ich versteh nur shukran, danke, und mehrmals Allah mit einem langen Anhang – und wird sich wieder melden. Dann geb’ ich meine Physiotherapeutinnensuchanfrage in unseren internen Mailverteiler.

   
         
   

Gegenwärtig sind in Deutschland über 5000 minderjährige Flüchtlinge als vermisst gemeldet. Der 13jährige Djamal (Name geändert) ist da noch nicht mitgezählt – er will sich nicht registrieren lassen, weil er nach Schweden weiter will zu seinen Verwandten. Die sind aber selber minderjährig und werden von den schwedischen Behörden nicht als betreuungsfähig akzeptiert, weil selber in Betreuung. Irgendwann ist er im Bieberhaus aufgeschlagen und sorgt beim Team für umfangreiche Zusatzbeschäftigung und Kopfzerbrechen.
Fünfmal wurde er an der Grenze schon zurück geschickt, denn die Schweden lassen Minderjährige nur noch einreisen, wenn Angehörige da sind, die sie aufnehmen und versorgen können. Ansonsten müsste er sich in Deutschland registrieren lassen und würde dann als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ in eine betreute Wohngemeinschaft kommen. Das will er aber nicht und treibt sich lieber sonstwo herum. Hat halt seinen eigenen Kopf, ist voll in einer Pubertätskrise und tanzt seinen „Patinnen“ so lang auf der Nase herum, bis die entnervt das Handtuch werfen und eine neue zeitweilige „Patin“ für ihn suchen.

   
   

Und die Registrierung in Deutschland geht nicht ohne seine Zustimmung. Es sei denn, er würde straffällig, dann würde er zwangsweise registriert – typisch deutsche Bürokratie halt. Aber dafür ist er zu schlau und irgendwo auch zu nett – bisher. Wir hatten schon die Wahnsinnsidee, mit ihm schwarz S-Bahn zu fahren in der Hoffnung, dass er dann kontrolliert wird: Normalerweise wäre das dann ein Selbstgänger – Polizeiprotokoll, Registrierung, Versorgung durch die Jugendhilfe. Aber wann läuft heutzutage schon etwas normal ???

Irgendwas geht sicher schief.
   
       
    Bis demnächst !    
         
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Letzte Änderung:
31/12/17


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