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"Containertagebuch 29 b"
Berichte |
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24.4.2016 |
Diesmal ein ‘unmedizinischer’ Bericht aus Idomeni, den ich – in Teilen – mit Genehmigung des Autors, des Mannheimer Rechtsanwalts Jörg Schmidt-Rohr und seiner beiden 14jährigen Söhne aus der Heidelberger „Stadt-Redaktion“ entnommen habe, und die in der Osterwoche vor Ort waren. Den ganzen Artikel findet Ihr hier: |
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(…) Für mein europäisches Auge und aus der Ferne sieht es aus wie ein großes Festivalgelände oder ein Friedenscamp vor 30 Jahren oder etwas Ähnliches. Das Elend und die über dem Lager liegende Unruhe und Verzweiflung sieht man vom Rande aus erst mal nicht. Wir fahren, da es schon später Nachmittag ist, weiter ins 15
km entfernte Polikastro, den nächsten größeren Marktflecken und dort
zum Parkhotel. Das Hotel, das hatte ich vorher im Internet und vor
allem auf facebook gelesen, ist eine wichtige Infoquelle und die
Logistik- und Organisationszentrale der „volunteers“. Quasi ihr
„Wohnzimmer“. Gewohnt wird in leerstehenden Häusern in der Umgebung,
kleinen Hotels und Pensionen in der Nähe oder in angemieteten Häusern
und Appartements. In diesem Sinne und auch ansonsten ist das Lager für
diese ansonsten wirtschaftlich „tote“ Ecke Griechenlands ein echtes
Konjunkturprogramm. Neben den gut organisierten NGOs wie MSF (Medicines sans frontieres), Save the children oder auch dem UNHCR gibt es viele kleine Gruppen und Organisationen aus ganz Europa, die vor Ort arbeiten. Daneben gibt es einen fließenden Übergang zu nicht irgendwo angebunden volunteers, auch einzelne oder kleine Gruppen die – wie wir – nach Idomeni kommen, um irgendwie zu helfen. Es sind pro Tag ca. 200-300 Menschen in und um das Lager aktiv in der Versorgung, der Hilfe und der Schaffung von Hilfestrukturen. Es sind sehr unterschiedliche Menschen allen Alters, aus allen Ländern und den unterschiedlichsten Lebenssituationen. Gutsituierte deutsche Rentner, spanische Studenten, italienische Aktivisten, Amerikaner, Norweger und Palästinenser. Auch Menschen, welche seit Monaten unterwegs sind oder die Hilfe zur „Berufung“ gemacht haben, in Lesbos, im Dschungel bei Calais oder sonst wo schon aktiv waren. Oder zeitweise ausgestiegen sind und Geld sammeln, immer wieder vor Ort sind oder irgendwo in Europa Flüchtlingsinitiativen gegründet haben. Viele nette und spannende Menschen, mit denen man schnell eine Ebene findet, alle getragen von dem gemeinsamen Willen – wir machen was und wir sind die Guten. Manche sind nur ein paar Tage da, andere Monate. Gesprochen wird englisch und es kann passieren dass man mit drei deutsch sprechenden Menschen zusammensteht und immer noch englisch spricht … Hannes, einer meiner Söhne, meinte er hätte in der Woche wirklich viel Englisch gelernt. Das Ganze bedingt einen laufenden, extrem dynamischen und
durch eine laufende Kommunikation geprägten hochkomplexen
Organisationsprozess. Beispielsweise gibt es ein „warehouse“ in dem täglich Unmenge Klamotten sortiert werden, die dann wieder an Gruppen gegeben werden, die sie im Lager ausgeben. Eine „tent group“, die nachts ankommende Flüchtlinge sofort mit Campingzelten versorgt und verschiedene Teezelte, Kinderspielzelte betreibt. Und natürlich auch Gruppen, die die Essenversorgung sicherstellen. Auch die Essensgruppen selbst sind wieder gut vernetzt und organisieren z.B. einen gemeinsamen Einkauf. Der griechische Staat ist bis auf ein paar Polizisten, welche
den Grenzübergang sichern und den Verkehr kontrollieren, nicht präsent
und versorgt auch die ca. 10.000 Flüchtlinge (ich glaube eine genaue
Zahl weiß keiner) überhaupt nicht. Die humanitäre Hilfe Wir drei, also ich und meine beiden Söhne, hatte im Vorfeld unserer Aktion keinen Gruppenanschluss gehabt. Wir waren auch nur eine Woche in Idoumeni. Deshalb haben wir uns beim Hummus Rights Projekt eingeklinkt. Das hieß täglich von 16 bis 21 Uhr an der Herstellung von 3000 Wraps mitwirken und Tüten packen und dann am morgen von 10 bis 12 Uhr diese dann an ca. 2.000 Menschen verteilen. Ein Wrap besteht aus 2 Teigfladen, Öl, Hummus (Kichererbsenbrei) und Gurken und Kartoffelstücken. In einer angemieteten Bar mitten in Polikastro produzierten täglich ca. 15 bis 20 Menschen in Fließbandarbeit diese mehreren tausend Wraps. Ein Wrap, ein hartgekochtes Ei, ein kleines Wasser und ein Apfel und eine Orange waren der Inhalt einer Tüte, die es pro Person gab. Die Verteilung war eine komplexe Prozedur. Zwei lange Schlangen, Männer und Frauen getrennt, ein Ausgabetisch und viele viele Helfer, Flüchtlinge und volunteers, welche die Schlangen organisierten. Wenn mindestens 500 bis 800 Menschen laufend in jeder Schlange standen, versuchen sich natürlich viele vorzudrängeln, schicken die kleinen Kinder vor, liehen sich Kinder die dazwischen reinschlüpften damit es mehrere Tüten gibt … und es hat nie für alle gereicht. Und so ganz gerecht bekam man es auch nicht hin und dann gab es manchmal auch Aggressionen und Geschrei unter den Flüchtlingen, Verbundenheit der Volksgruppen und Familien und ein Verdrängen anderer. Dann die Sprachbarrieren. Da war viel „Ordnungsdienst“
angesagt, obwohl man doch eigentlich nur eine Verteilung organisieren
will. Aber die riesige Zahl, die z. T. deutlich psychisch
angeschlagenen und oft erkennbar traumatisierten Menschen, die vielen
Kinder mit Kriegs- und Straßen- und Überlebenskampferfahrung, das ist
eine schwierige Mischung. Ein Fazit der Reise Die Situation im Lager ist sozial und gesundheitlich nicht einfach und ohne die Essensprojekte müssten auch sicher Menschen hungern. Die Flüchtenden sind erst mal aus Situationen, in denen ihnen Bomben auf die Köpfe fallen und sie ständig um ihr Leben fürchten müssen, raus. Aber das ist auch alles. Das Bedrückendste ist die Ungewissheit, die völlig unklare Perspektive, das monatelange „Warten“ – auf was eigentlich – im Niemandsland des griechischen Nordens vor einem Zaun. Dazu kommt, dass Familienmitglieder vielleicht schon in Mitteleuropa sind – da kommt man nicht hin – und andere noch in der Türkei oder in einem Bürgerkriegsland – die bekommt man nicht raus. Und die politische Geiselhaft, in der die Menschen sitzen,
denn die EU muss ja beweisen, dass die Balkanroute dicht ist. Und da
nützt auch die ganze Berichterstattung und die dramatischen Bilder in
den Medien wenig. Es ist immer auch ein kleines bisschen Solidarität,
einfach da zu sein, was kleines Praktisches zu helfen. |
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Den ganzen Artikel findet Ihr hier: |
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Der Soldan-Bericht 29 b als PDF zum Download: ——> | Klick hier! | |||
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Letzte Änderung: 31/12/17 |
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