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"Containertagebuch 31 b"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Die Flüchtlingsfamilienbetreuerin Manuela Treff aus Wedel in Schleswig-Holstein (Hamburger Nordrand, aber im Gegensatz zu Norderstedt an der Elbe gelegen) hat auf Facebook folgenden anrührenden Bericht gepostet, den ich mit ihrer Einwilligung hier weiter leite, unter der Bedingung, dass er nicht kommerziell genutzt wird (also achtet darauf, bei einer evtl. Weitergabe).

Es ist mir gerade jetzt wichtig, auf solche Schicksale einzelner Menschen und Familien hinzuweisen, weil in der Politik und von rechten Hetzern über Geflüchtete als „Wellen“ gesprochen wird, die man „eindämmen“ müsste, als wären es Naturkatastrophen, und diese Verbrecher diesen Menschen dadurch ihr Mensch-Sein abzusprechen versuchen.

Hier nun Manuelas Bericht:

   
         
   

Vor ca. 4 Wochen bekam ich eine Nachricht „Ela bitte kommen, Problem“ – also fuhr ich zu dem Papa und seinem Neffen, welche beide schon länger in Wedel weilen.
Das Problem hörte sich in etwa so an: „Meine Familie (Frau und 4 Kinder) hat einen Botschaftstermin in Jakarta und wir benötigen 2000 € für den Flug von Beirut nach Indonesien“ – okay, wann? „In 3 Tagen.“ Meine Reaktion darauf, dass ich keinen Plan habe, wo ich das Geld bekommen sollte und dann in dieser kurzen Zeit, brachte nicht unbedingt ein Lächeln in die Gesichter. Aber auf jeden Fall rumorte in meinem Köpfchen: ich muss es versuchen. Wenn die Familie es schon geschafft hat – keine Ahnung wie –, einen Termin in einer deutschen Botschaft zu bekommen, dann muss ich es versuchen.

   
         
   

Also gab es meinen Facebook-Aufruf – unglaublich – Dank der Hilfe von Euch ganz lieben Unterstützern – hatten wir in 2 Tagen 2000 € zusammen und der Flug nach Indonesien konnte pünktlich gebucht werden. Da syrische Personen nicht nur einen Hinflug buchen können, sondern auch gleichzeitig den Rückflug und die Buchung eines Hotels vorweisen mussten, reichte das Geld nur für die Reise dahin. Viele Telefonate waren in diesen 2 Tagen fällig, ebenso mit einer Verwandten des Papa’s in Hamburg. Sie versprach mir, sich um die Kosten der Umbuchung des Fluges von „Indonesien nach Beirut“ auf „Indonesien nach Deutschland“ zu kümmern und sie hat auch schon Spenden gesammelt und sei schon bei über 500 € und wird weiter machen. Okay – der nächste Meilenstein war geschafft. Nun hieß es warten, dass Mama mit 4 Kindern gesund in Indonesien landen und im Hotel einziehen.

Was super funktionierte.

   
         
   

Weiter ging die Spannung, was bei dem Termin in der Botschaft passiert – bekommen sie ihr Visum, und wie lange dauert es? Es waren ca. 2 Wochen, dann bekam ich die Nachricht „Ela – morgen Visum“ – ein kleiner Freudenschrei ging durch mein Herz! Also schnell die Verwandte in Hamburg angerufen: „Hey hallo, die Familie bekommt das Visum morgen, bitte schick das Geld, damit die Flüge nach Deutschland umgebucht werden können!“
Schockstarre! Denn die Antwort: „Ich habe keine Geld. Außerdem habe ich schon 200 € gegeben“ – hat mir fast den Boden unter den Füßen weg gezogen und dem Papa mit. Es war für mich unglaublich, dass jemand, dessen Wort ich hatte, diesen Satz so gleichgültig über die Lippen brachte; und noch viel schlimmer: was mach ich jetzt?

   
         
   

Nun ging es erst mal darum, genau herauszufinden, welche Kosten denn jetzt noch für die Flugumbuchung + Gebühren anfallen. Also wieder Telefonate ohne Ende und eine schlaflose Nacht, wo finde ich eine Lösung – ca. 1500 € standen jetzt erneut auf dem Plan.
Da ist eine Frau mit 4 Kindern, die es geschafft hat, von Beirut nach Indonesien zu fliegen, einen Termin in der Botschaft hat und dann noch ein Visum bekommen hat und jetzt soll das alles umsonst gewesen sein?

Nein Ela, das geht nicht!

   
         
   

Also Möglichkeit gefunden, wieder Qatar angerufen, Flüge umgebucht und mit Kreditkarte bezahlt. Wieder waren wir Beteiligten super erleichtert und glücklich.
Aaaaaaaaber, das war es noch nicht!

3 Tage lang musste ich wieder Telefonate führen, Mails schreiben, alles offenlegen, was beweisen konnte, dass die Kreditkarte meine ist und tausendmal erklären, dass es nicht möglich ist, meine Kreditkarte beim Check-in in Indonesien am Schalter vorzulegen, da ich in Deutschland bin und demzufolge meine Karte auch! Aber irgendwie wollte das keiner verstehen! Aber auch dieses hatten wir dann geschafft.

So, jetzt war der Stand: Familie in Indonesien – Termin Botschaft erledigt – Visum erhalten – Flug nach Deutschland umgebucht! Klingt super – es waren auch nur noch 3 Tage bis zum Start des Fliegers – alle Hürden genommen – perfekt!

Am 3.5., 0:20 Uhr (indonesischer Zeit / deutsch: 19:20 Uhr) sollte der Flieger starten. Damit er ja nicht verpasst wird, war die Familie bereits vormittags auf dem Flughafen in Jakarta und meine Glücksgefühle wurden immer größer.

Gegen 17 Uhr unserer Zeit erhielt ich den ersten Anruf: „Ela Problem“ – alle Alarmglocken in meinem Köpfchen gingen an. Beim Einchecken wurden die Pässe abgenommen und so ein Flug nach Deutschland unmöglich gemacht. Der Grund, welchen wir wieder erst nach längeren Telefonaten mit Indonesien, mit der Fluggesellschaft und der Familie erfahren konnten, wurde wie folgt angegeben: In den Pässen der Kinder sei keine Unterschrift, nur ein Fingerabdruck und das können die indonesischen Beamten nicht akzeptieren!
Bitte nicht fragen, wie wir hier im Dreieck gelaufen und nicht weiter gekommen sind!

   
   

 

   
   

Die Familie war mittlerweile ca. 12 Stunden auf dem Flughafen, hatte kein Geld für Essen und Trinken und nun auch keine Pässe mehr – absoluter Horror!
Dann kam die Nachricht: Der Flieger ist defekt und fällt aus – der Flug wird auf ca. 20 Uhr indonesischer Zeit (deutsch: 15 Uhr )verschoben. Sie bekamen ihre Pässe zurück! Okay – jetzt hatten sie erst mal die Pässe wieder – aber weitere Stunden auf dem Flughafen.

Gegen 22 Uhr wieder ein Anruf: „Ela – Problem again!“ Dann haben wir von 22 Uhr bis morgens 3:30 Uhr (unserer Zeit) wieder mit Indonesien, mit der 24h-Hotline von Qatar usw. telefoniert – weil: die Pässe wurden wieder eingezogen. Es war unglaublich! Und wieder nichts erreicht. Die indonesischen Beamten bestanden auf Unterschriften der Kinder in den Pässen und haben uns mitgeteilt, dass sie eine Mail nach Berlin-Tegel geschickt haben und nun auf Antwort warten und das mitten in der Nacht – super – da ist man ja auch sehr aktiv auf unseren Flughäfen.

Aus unserer Sicht hatte das Ganze einen reinen Anflug von Schikane und Korruption. Wir haben die halbe Welt bereist und viel davon in Asien, auch Indonesien, mit einem Scheinchen ist manches einfacher. Die Familie hatte aber NICHTS!

   
         
   

Nachdem ich dann hoffnungslos versucht habe – doch noch ein wenig Schlaf zu finden, versuchte ich am nächsten Morgen wieder in Berlin-Tegel anzurufen – und diesmal mit Erfolg. Ein sehr netter Mitarbeiter der Fluggesellschaft hat sich meines Problems angenommen und – nachdem ich ihm alle Dokumente per Mail sendete – sofort mit der Bundespolizei gesprochen und diese hat mit indonesischen Behörden gesprochen und die Familie zum Flug nach Deutschland freigegeben.
Wir hatten es geschafft – 19:40 Uhr (14:40 Uhr deutscher Zeit) saß die Familie im Flieger nach Deutschland über Qatar!

Papa und Neffe (welcher jetzt hoffentlich noch erholsame Tage in Berlin genießt) hatten sich am Dienstag Abend auf den Weg nach Berlin begeben (sie hatten bereits ein Busticket gelöst und konnten es nicht verfallen lassen), um die Familie in die Arme zu schließen.

   
         
    Nun war nur noch der Weg nach Wedel – und wenn sie gelandet sind, kann ja nichts mehr schief gehen!
Die Nachricht gestern Abend ca. 20:30 Uhr – Papa hat Familie am Flughafen getroffen – ließ tausend Steinchen von meinem Herzen fallen – nun wird alles gut!
Sie hatten bereits ein Ticket für den Bus nach Hamburg gelöst, welcher um 6:30 Uhr in Hamburg ankommen sollte, dann neue Info – 6:10 Uhr Ankunft.
Also heute morgen bedeutete das für meinen Mann und mich voller Freude: 4:30 Uhr aufstehen und 5:15 Uhr nach Hamburg zum Busbahnhof und die Familie glücklich in Empfang nehmen.
6:10 Uhr – okay gleich – 6:30 Uhr – kein Bus in Sicht – 6:45 Uhr noch immer kein Bus in Sicht – 7:00 Uhr keiner da – 7:15 Uhr – die Info: der Bus wurde gestoppt am Berliner Tor von der Bundespolizei, da illegale Flüchtlinge vermutet wurden (der Bus kam aus Prag über Berlin) Es wurden einige Personen in Handschellen abgeführt!
Ich brauch Euch nicht sagen, wo mein Herz war!
   
   

 

   
   

7:45 Uhr kam der Bus an und aus dem obersten Fenster sah ich einen glücklich winkenden Papa! Alle 6 stiegen aus und die Umarmung war so was von herzlich und die Tränen waren auf beiden Seiten nicht mehr zu stoppen, dafür gibt es keine Worte!

Nun gab es noch einen kleinen Imbiss, welcher mit strahlenden Augen verdrückt wurde und dann ging es nach Wedel in das neue Zuhause und in eine Zukunft ohne Bomben, ohne Krieg, und in der jeder eine Chance bekommt, sein Leben lebenswert zu gestalten!
Für diesen Papa war es wohl heut der schönste Vatertag aller Zeiten!

Auch wenn es viel Nerven und Aufwand gekostet hat, dieses Happy-End zu bekommen – es war jeden Cent und jede Sekunde wert!

Und Ihr habt einen ganz dollen Anteil dran!

Mein größter Respekt gilt dieser Mama! Es ist für keinen für uns wohl vorstellbar, welche Ängste man ertragen muss, wenn man mit 4 Kindern sich auf solch einen Weg begibt, sein „Hab und Gut“ in 2 Koffer packen muss und solche Art von Ungewissheit und Problem bewältigen muss!

   
    VIELEN DANK – auch im Namen der Familie!    
   

 

   
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Letzte Änderung:
31/12/17


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