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"Containertagebuch 32 b"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Nahe Idomeni –
Freitag 13.5. / Samstag 14.5.2016
(Bericht Joost):

   
   

 

   
   

10% Steigung, 10% Gefälle, eine bergige Straße mit vielen S-Kurven – mitten in der Nacht. Jede Nacht – auf dem Weg zur Grenze … Kleine Kinder, Säuglinge, völlig erschöpfte Mütter mit Kindern auf dem Rücken, festgehalten an einem Arm, an der anderen Hand ein weiteres kleines Kind mit sich ziehend. Dahinter die 5-, 6-, 7-jährigen, die alleine laufen müssen. Männer, die inmitten von einem großen Haufen Gepäck am Straßenrand liegen und auf die Frage, was los sei, kurz auflachen.
Und wenn man genauer hinschaut, beschleicht einen das Gefühl, die Frage war überflüssig und bescheuert. Ich hab’ im Finsteren nicht gesehen, dass besagte Gepäckstücke alle an diesen Männern befestigt waren und sie wie ein Maikäfer auf dem Rücken lagen, weil sie kurz ausruhen wollten.
War meine Frage doch darauf bezogen, ob jemand krank sei. Baby fever, Baby fever, Baby fever – jede Nacht. Die extreme Hitze der Tage – größtenteils ungeschützt mit zuwenig Wasser, die Kälte der Nächte – ohne wirksamen Schutz …
Da kann man schon mal Fieber bekommen – vom Durst, von der Sonneneinstrahlung, durch Frieren in der Nacht.
Die letzten Tage habe ich das Auto mit Bananen, Scho-kolade und v. a. jeder Menge Wasserflaschen vollge-stopft und bin diverse Straßen nachts abgefahren, nachdem ich zufällig die erste Gruppe morgens gegen 3 Uhr getroffen hatte. Lebensgefährlich. Im Stockdunkeln, unbeleuchtet, auf den kurvigen steilen Straßen. Heute ein Kinderwagen mit Zwillingen dabei. Weit hinter den anderen. An beiden Seiten schwere Taschen. Ein Zelt? Schlafsäcke? Oder zu Essen, zu Trinken, Pampers? Ich weiß es nicht. So groß und schwer die Taschen auch waren, alles das gemeinsam wird nicht reingepasst haben.
Ein neuer Versuch über die nächste(n) Grenze(n) zu gelangen. Der Hoffnungslosigkeit, dem Hunger und der nicht vorhandenen medizinischen Versorgung in den Militärcamps zu entfliehen.
Mit den Kindern ein hoffnungsloses Unterfangen. Fast jede Nacht kommen verprügelte, zerschlagene Flüchtlinge zurück in die Camps, die es nicht geschafft haben. Es gibt inzwischen eine Nachtbereitschaft dafür – Ärztinnen, die sich dann nachts auf den Weg machen, um zu entscheiden, wer vor Ort behandelt werden kann. Für wen der Rettungswagen gerufen werden muss, um im Krankenhaus behandelt zu werden.

   
         
   

Ich spreche mit Männern, die berichten, jede Nacht über die Grenze zu gehen und die besten Wege zu suchen. Die gleichzeitig völlig hoffnungslos sind, ihre Kinder mitnehmen zu können, weil es einfach zu gefährlich ist, weil sie sie nicht in Gefahr bringen wollen. Männer, die völlig verzweifelt sind, mit Frau und Kindern hier zu sein. Deren Frauen mich anflehen, wenigstens ihre Kinder mitzunehmen. Nach Deutschland in Sicherheit zu bringen.

   
   

 

   
   

Es ist mir schleierhaft, wie überhaupt noch irgendein/e PolitikerIn, irgendein Mensch, der von dieser Not weiß – und ich gehe davon aus, dass alle, die die Grenzen-zu-Entscheidungen treffen, genau wissen, zu welcher Not und Verzweiflung ihre Entscheidungen führen – noch ruhig schlafen kann.
Und sie wissen davon! Sonst würden sie nicht von häss-lichen Bildern, an die wir uns gewöhnen müssen, schwafeln und für Schießbefehle werben – oder diese als gegeben akzeptieren. Es ist ein perverses Spiel, was hier gespielt wird. Menschenrechte gegen Machtinteressen.
Widerwärtig!

   
   

 

   
   

Was sagen diese bösartigen katholischen CSU-Fritzen eigentlich wöchentlich bei der Beichte? Ich musste die Menschenrechte außer Kraft setzen – dafür bete ich auch 10 Vaterunser?
Wie geht das?
Wie kann man sich christlich demokratisch nennen? Wie kann man sich christlich sozial nennen? Wie kann man sich sozial demokratisch, wie kann man sich sonstwas nennen und solche menschenunwürdigen und illegalen (der Genfer Flüchtlingskonvention, den EU-Flüchtlingsrechten u. a. widersprechenden) Entscheidungen treffen?

   
   

 

   
   

Wie kann man Menschen, die vor Krieg, Attentaten und Hunger fliehen, die Tür vor der Nase zuknallen? Wie kann man Familien zerreißen, den Nachzug, die Zusam-menführung so erschweren und verzögern, dass viele Eltern ihre (neugeborenen) Kinder erst in einigen Jahren wiedersehen werden.
Es ist unerträglich!

   
         
   

Griechenland liegt wirtschaftlich am Boden. Die Versor-gung der Flüchtlinge in den Militärcamps ist ein große Herausforderung, die nicht gut gelingt. Davon abgese-hen, dass Menschen, die ihre Heimat verlieren, alles daran setzen, wenigstens ihre Familienangehörigen wieder zu finden und mit ihnen gemeinsam neu anzufangen. Dafür horrende Summen für die oftmals lebensgefährliche Unterstützung durch Schlepper ausgeben zu müssen, hat auch etwas sehr Perverses.

   
   

 

   
   

SICHERE FLUCHTWEGE UND OFFENE GRENZEN SOFORT!

   
         
   

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Letzte Änderung:
31/12/17


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