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"Containertagebuch 39"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Es sind die kleinen Widrigkeiten, die es den Geflüchteten und ihren Helfer/innen unnötig schwer machen.

   

 

 

So hatte ich gestern in meiner „Alraune“-Sprechstunde einen Patienten, dem nach einer Erkältung seit Wochen der Hals weh tat.
Rachen nicht gerötet, Mandeln unauffällig bzw. nahezu nicht mehr vorhanden und die Lungen sauber. Ich rate ihm, mit heißem Kamillentee in einer Schüssel und Handtuch überm Kopf zu inhalieren.
Das geht nicht, sagt er.
Ich stelle mir ein vollgestopftes Mehrbettzimmer vor.
– Wieviele seid Ihr auf dem Zimmer?
Früher waren wir sechzehn, jetzt noch acht.
Und wir dürfen kein heißes Wasser mit aufs Zimmer nehmen.
– Wo dürft Ihr überhaupt mit heißem Wasser hantieren?
– Auf der Toilette.
Und eine Küche gibt’s nicht, nur eine Cafeteria, in der zu festen Zeiten das Essen vorgesetzt wird.
Zum Glück hat die Dolmetscherin die rettende Idee.
– Du inhalierst bei uns in der Schule. Morgens wenn Du kommst, und nochmal wenn Du gehst.

   
         

 

  Manchmal liest man in der Zeitung von Schlägereien in Flüchtlingsunterkünften. Dazu fällt mir ein „SPIEGEL“-Artikel ein:    
   

So deprimierend hatte sich Werner Morisse, 39, seinen neuen Job nicht vorgestellt. Nahezu täglich, berichtet der Bremer Psychologe, werde er in seinen Beratungsstunden mit „wahren Dramen“ konfrontiert. „Weinende Frauen, randalierende Männer, brüllende Kinder“, beschreibt der Therapeut seine Klientel. Morisse: „Eine menschliche Katastrophe.“ (…)

Vor allem abends, „wenn mit der Dunkelheit auch die Depressionen kommen“, berichtet Almuth Stoess vom Arbeitersamariterbund (ASB) Bremen-Nord, seien die „Konflikte derart eskaliert“, dass zeitweilig „jede Nacht die Polizei“ anrücken musste.

Weitere Ausschreitungen soll nun der Morisse-Einsatz verhindern. Bei der „miserablen seelischen Verfassung“ der Kasernenbewohner, berichtet die ASB-Chefin und Lagerbetreuerin Stoess, sei „psychologische Erste Hilfe nötig“ – und das nicht nur in Bremen.

Bundesweit löst ein drastischer Anstieg von Aggressionen und Frustrationen in den Aufnahmelagern bei Betreuern Sorge um die Seelenlage ihrer Klientel aus. In saarländischen Notquartieren hat der Landeschef des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Albert Schwarz, schon erste Anfälle von „Lagerkoller“ beobachtet. In Hamburg meldet die DRK-Betreuerin Wiebke Meyer-Kolumbe zahlreiche „psychische Zusammenbrüche“. Immer mehr Bewohner von Notlagern, so die Sozialarbeiterin, „klappen uns einfach weg“. (…)
„Wir müssen die Menschen stapeln“, beschreibt der Dortmunder Sozialdezernent Manfred Schelle das Gedränge in den Quartieren der Revierstadt. Und auch ein Essener Kollege räumt ein, dass die Zustände in den Notlagern längst unzumutbar sind: „Das verstößt gegen die Menschenwürde.“

Der Psycho-Druck hat zu einer erheblichen Zunahme von Zwischenfällen geführt. „Ohne Ausraster“, beschreibt ein Helfer die Lagersituation, „vergeht kein Tag mehr.“

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Szenen aus einer Erstaufnahmeunterkunft für Syrer? Afghanen? Eritreer? 2015?
Nein!
Februar 1990, Notlager für unsere übergesiedelten Landsleute aus der DDR!

   
   

 

   
    Dafür geht’s in dem Containerdorf auf dem Schulhof nebenan friedlich zu.    
   
   

Die in Hamburg aufgenommenen Flüchtlinge sind mit einer Versicherungskarte der AOK Bremen ausgestattet, die diesen Service bundesweit anbietet.
Nicht alle Länder machen davon Gebrauch. In Mecklenburg-Vorpommern müssen sich die Betroffenen erst von ihrer Sachbearbeiterin begutachten lassen, ob sie überhaupt krank genug sind um zum Arzt zu dürfen, dann kriegen sie einen Krankenschein und können sich auf die Suche nach einem Arzttermin machen.
Zur Umgehung dieser menschenunwürdigen Prozedur bieten u. a. in Güstrow ehrenamtlich tätige Ärzte Sprechstunden im alternativen Zentrum „Villa Kunterbündnis“ an, mitunter behindert von ortsbekannten Nazis, die vor der Tür stehen und Gesichtskontrolle machen, was die Polizei zulässt. Herumstehen ist ja nicht strafbar.
Von solchen Widerlichkeiten bleiben wir in Hamburg und soweit mir bekannt auch in Schleswig-Holstein verschont.

   
    In einem durch Stellwände von der Aula abgetrennten Unterrichtsraum …    
   
   

… findet meine Montagssprechstunde statt.

   
   
   

Mein aktueller Patient, der wegen einer Zahnvereiterung dringend zum Zahnarzt muss (Jochbein schon auf geringen Druck schmerzhaft), ist krankenversichert. Leider hat ihm die Arbeitsagentur seine AOK-Karte gerade abgenommen, weil sie ihn, warum auch immer, bei der AOK Hamburg versichern will. Wo er aber noch nicht versichert ist.
Ich rufe bei der AOK Bremen an – die Nummer habe ich seit langem abgespeichert, weil ich immer wieder auf Versicherungsprobleme Geflüchteter stoße, und normalerweise klappt die Kommunikation gut.
– Ja, der Mann ist bei uns krankenversichert.
Ob sie eine Versicherungsbescheinigung an die Zahnärztin faxen könnten, bei der ich für morgen einen Termin ausgemacht habe?
– Nein, nach Hamburg dürfen wir solche Bescheinigungen nicht mehr faxen.
???
Aber die Praxis ist in Norderstedt, das ist in Schleswig-Holstein.
– Einen Moment bitte … Ja, das geht. Wie ist die Nummer ?
Null vier null …
– Aber das ist Hamburg, das dürfen wir nicht.
Bitteschön, Norderstedt liegt zwar in Schleswig-Holstein, hat aber Hamburger Vorwahl. Ganz Norderstedt.
Der Mann am andern Ende denkt nach.
– Wie heißt denn die Zahnärztin ?
Pause, er googelt sie wohl gerade und überzeugt sich, dass sie tatsächlich in Schleswig-Holstein praktiziert.
– Gut, wir faxen die Bescheinigung im Laufe des Tages.
UFF!
Wenigstens war der Mensch kooperativ und hat sich erfolgreich um eine Lösung bemüht. Danke!

   
         
   

Zwischendrin, letzten Samstag, haben wir Bieberhausleute wieder bei Hanseatic Help gespendete Kleidung sortiert. Bei den schwülen Außentemperaturen war das Klima in der Riesenhalle angenehm kühl, und gut gegessen haben wir, zwischendrin, auch. Der nächste „Subbotnik“-Einsatz ist für den Samstag 8.10. ab 12 Uhr geplant. Aber wer will, kann auch sonst mal (außer mittwochs) vorbeikommen und helfen:

   
    Hanseatic Help
Große Elbstraße 264
Bus 111/112
oder Fähre 62 Landungsbrücken – Finkenwerder bis Dockland/Fischereihafen (HVV-Tickets)
   
       
   

Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
31/12/17


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