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"Containertagebuch 40"
Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen
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Liebe Tagebuchfans,
vor etwa einem Jahr hab ich in einem Medizincontainer vor dem
Hamburger Hauptbahnhof angefangen, dieses Tagebuch* zu schreiben. D. h.
eher nicht während ich dort Flüchtlinge versorgte, die auf ihre
Weiterreise meistens Richtung Schweden warteten, sondern eher hinterher
irgendwo. Container wie Bieberhaus sind Geschichte, aber meine Arbeit
als Hausarztrentner mit Geflüchteten geht weiter, deshalb auch das
Containertagebuch.
Was bisher geschah (und wie’s weiter geht) könnt Ihr
auf den bisherigen Tagebüchern nachlesen, siehe unten:
Inhaltsverzeichnis.
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Erste Veröffentlichung auf www.cjmedia.de/Hoftuer (mittlerweile
geschlossen): 4.10.15! [Red.] |
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25.9.2016
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Der mittlere der drei unten abgebildeten Herren ist unser
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere auf seinem Kabul-Trip im
Februar. Damit ihm nix passiert, wurde er mit Helm und Schutzweste
ausgestattet. Andererseits ist sein Fortkommen damit beschwerlich,
deshalb sammelt ihn seine fürsorgliche Hubschrauberbesatzung schnell
wieder ein. Während er von einem sicheren Rückkehrland Afghanistan
schwafelte, ging wenige Kilometer entfernt eine Bombe hoch, mehr als
zwanzig Menschen starben.
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Bekanntermaßen haben wir ihn inzwischen heil wieder. Die
Durchschnittsafghanin samt Kindern, die dieser Ministerunmensch
demnächst auch nach Kabul deportieren lassen will, weil es dort ja ach
so sicher ist, hat diesen Komfort nicht. Aus diesem Grund haben heute
in Hamburg über 1600 Menschen gegen Abschiebungen nach Afghanistan
demonstriert, darunter ich (——>)
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Mittlerweile werden die Menschen in den meisten afghanischen
Provinzen nicht nur von den Taliban terrorisiert, sondern zum Teil auch
vom IS. Und wo es heute „sicher“ ist, wird womöglich morgen schon
geschossen.
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Derweil werden hier
immer mehr Asylanträge von Afghanen abgelehnt, im Gegensatz zu z. B.
Syrern bekommen sie meistens keine Deutschkurse. Diese
Ungleichbehandlung verschärft natürlich auch die Spannungen zwischen
den einzelnen Flüchtlingsgruppen in den Camps. |
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Die Rückkehr nach Afghanistan hat ausschließlich
freiwillig zu erfolgen, und das ohne jeden Zwang. Bleiberecht für alle
Geflüchteten aus Afghanistan, einschließlich Familiennachzug!
Deutschkurse für alle!
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27.9.2016
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Ein Kollege hat mir für Griechenland eine Unter-suchungsliege
angeboten, sie stünde jetzt in der Erstaufnahme Neuland 2 in Harburg.
Egal, ob die jetzt im neuen DocMobile
oder sonstwo zum Einsatz kommt, irgendwie muss die da hin. Anfang
Oktober startet ein neuer Hilfstransport nach Griechenland zur
Unterstützung der Helfer in den Lagern, in denen Tausende Geflüchteter
unter erbärmlichsten Bedingungen auf ihre Weiterreise warten und
versorgt werden müssen. Bei Hanseatic
Help werden alle Hilfsgüter solang untergestellt.
Keine Ahnung, wie groß das gute Stück ist, und ob es in meinen Renault
Kangoo reinpasst. Ich wühle mich, was ich selten mache, durch den
Hamburger Stadtverkehr bis Harburg, bis ich in der Nähe des dortigen
Bahnhofs unter der anheimelnden Adresse Schlachthofstraße 3 vor dem
geschlossenen Rolltor des dortigen Erstaufnahmelagers stehe. Da kommt
auch schon ein Wachmann und – oh Wunder – öffnet das Tor, ich hatte
mich am Vortag angemeldet und mein Auto beschrieben.
Überall wuseln Kinder herum, Stimmengewirr hinter den Stellwänden, wo
sich das rudimentäre Privatleben der Geflüchteten abspielt. Ich werde
zum Arztzimmer gebracht, eine freundliche Sozialarbeiterin kommt, mit
Hilfe eines Wachmanns tragen wir die Liege zum Auto. Jetzt wird’s
spannend.
Rückbank und Beifahrersitz kippe ich nach vorn, dann schieben wir das
gute Stück hochkant von hinten nach vorn bis es nicht mehr geht. Hinten
und an der Beifahrertür schaut ein Stück heraus, aber, oh Wunder, beide
Türen lassen sich mit etwas Nachdruck schließen.
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Der Blick durch den Rückspiegel ist etwas verstellt, der
rechte Außenspiegel grad noch einsehbar. Ein Blick in den guten alten
Falck-Plan, so etwas Neumodisches wie ein Navi hab ich in meinem 14
Jahre alten Vehikel nicht, könnte es auch nicht bedienen. Bisher ging’s
mit Stadtplan und einer guten Beifahrerin, die fehlt heute, mangels
Platz.
Hinter den Elbbrücken links weg, aufpassen dass ich nicht ins
Freihafen-Labyrinth gerate, irgendwann fängt das Straßenbild an so
auszusehen, wie ich es von meinen vielen Spaziergängen und
Bus/Bahnfahrten kenne. Und dann kommt auch schon die Hochbahn, die
Landungsbrücken, der Fischmarkt und schließlich Hanseatic Help.
Mit einer Helferin trage ich das gute Stück zur Griechen-land-Ecke,
sicherheitshalber wird es beschriftet, damit es zugeordnet werden kann,
und dann bleibt mir nur noch übrig, für Anfang Oktober Kali taxidi
zu wünschen und mich durch den Stadtverkehr Richtung Norderstedt zu
quälen. |
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29.9.2016 |
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Es geht voran!
Heute Abend ist im 2. Stock der Adenauerallee 10, gegenüber vom ZOB und
damit in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes, das neue Paritätische
Kompetenzzentrum Migration (KomMig) eröffnet worden.
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Die KollegInnen unserer aktuell laufenden Projekte
+ Fachberatung und Qualifizierung für
Migrantenselbstorganisationen
+ Menschen stärken Menschen– Patenschaften
in der
Hansestadt und
+ Qualifizierung und Beratung Freiwilliger in der Arbeit mit
Geflüchteten
haben ihre neuen Büros gerade bezogen. Darüber hinaus hat am
1. September 2016 das Projekt House of Resources Hamburg (HoR HH)
begonnen. Hier empowern wir Organisationen aus migrantischen
Communities durch juristische und allgemeine Beratung sowie Coaching,
vergeben unbürokratisch Projektgelder und stellen für
MigrantInnenorganisationen kostenlos Arbeitsplätze und
Veranstaltungsräume zur Verfügung. Bin e.V., Integrationspunkt Hamburg
gemeinnützige UG, die Initiative HelferInnengruppe Hamburg Hauptbahnhof
(Helfergruppe Hamburg Hauptbahnhof und Bieberhaus) und das Sprecherteam
des BHFI – Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen sind als erste
Organisationen bereits in ihre Büros eingezogen.
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Soviel aus der Einladung des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes. Die Büro-Etage war brechend voll, einen Blick in
unsere Medizinräume konnte ich auch werfen, es sieht leider noch wie
eine Rumpelkammer aus. Einen Rollstuhl, ein paar Gehhilfen und das
„Wagerl“ meines verstorbenen Vaters hab ich am nächsten Tag zu
Hanseatic Help gebracht, von wo nächsten Donnerstag ein LKW nach
Griechenland zur Unterstützung der dort Gestrandeten startet.
Eine Arztsprechstunde lässt sich derzeit hier noch nicht organisieren,
zumal das geplante therapeutische Zentrum für Geflüchtete durch den
Verein Segemi
noch nicht steht. Also bleibt mir, weiter meine montägliche
Alraune-Sprechstunde abzuhalten und mich an den Aktiviäten meiner alten
Bieberhaus-Freund/inn/en zu beteiligen, z.B. das nächste Mal am Samstag
den 8.10 ab 12 Uhr bei Hanseatic Help,
Große Elbstr. 264, Hosen und ähnliches für den Weitertransport zu
sortieren. Wir suchen noch Mitsortierer/innen, und eine Suppe sowie
andere gute Sachen sind in Vorbereitung.
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Und
zwischendrin, vom 10. bis 13. November, fahr ich zum Papst. |
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Ja, Ihr habt richtig gelesen: Ernst Soldan, der nicht so
fromme Sohn eines evangelischen Pfarrers, fährt in den Vatikan. Das hat
jetzt nicht unmittelbar etwas mit Flüchtlingen zu tun, aber ohne meine
Arbeit mit Geflüchteten wär das nicht zustande gekommen:
Anfang Juni hatte unsere Bieberhausgruppe einen Stand auf dem
Stadtteilfest St. Georg, da sprach mich eine Mitarbeiterin vom
Nachbarstand, der Caritas, an (bei der letzten Herbst/Winter ebenso wie
in der benachbarten Al-Nour-Moschee jede Nacht Transitflüchtlinge
übernachteten).
Ob ich auch mal was mit Obdachlosen machen würde – warum nicht.
Ob ich etwas gegen den Papst hätte – nein, der aktuelle wär, v. a. mit
seinen Vorgängern verglichen, ja schon ein Lichtblick.
Und sie erzählte mir vom Projekt fratello.
Der Papst hat zum o. g. Termin 6000 „Menschen vom Rande der
Gesellschaft“ nach Rom eingeladen, davon ca. 60 aus Hamburg und
Umgebung. Und dafür suchten sie jetzt Begleiter. So wurde ich Mitglied
des Medizin-Teams, denn ganz gesund sind viele dieser Menschen ja nicht.
Beim ersten Vorbereitungstreffen, sagte der „Reiseleiter“, ein
Jesuitenpater:
„Ihr müsst nicht katholisch sein, und auch nicht unbedingt fromm. Aber
Ihr müsst eine gesunde Neugier mitbringen“.
OK, die ist da. |
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… |
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Bis demnächst!
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Letzte Änderung:
31/12/17 |
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