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"Containertagebuch 41"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
8.10.2016  

Jetzt zum dritten Mal hat sich unsere Bieberhaus-Gruppe zum Subbotnik bei Hanseatic Help eingefunden, in der Großen Elbstraße 264 – Bus 112 von Altona, Haltestelle Elbberg, dann die Serpentinen und schließlich die Treppe runter. Für Autofahrer/Anlieferer: An den St.-Pauli-Fischmarkthallen die Elbe entlang, wenn’s den Berg hochgeht dem NICHT folgen, sondern unten bleiben. Irgendwann kommt man links auf ein Wandbild zu, dann ist rechts der Eingang.

   
         
   
    Der LKW, an dessen Ladeinhalt ich beteiligt war,
ist inzwischen heil in Griechenland angekommen.
   
         
    Nach der Begrüßung kriegt jeder sein Tesakrepp-Namensschild, und ich schnappe mir die erste Pappkiste mit unsortierten Männerklamotten – seit unserem letzten Besuch ist der Stapel ordentlich gewachsen:    
   
    Zwischendrin finden sich exotische Spenden wie diese Taucher- bzw. Schneebrille, …    
       
   

… die vielleicht einem Scout gut tut, der im Schneesturm den Weg für seine Gruppe durch den Stacheldrahtverhau an irgendeiner Grenze sucht und ihn mit Hilfe dieser Brille sogar findet. Was wiederum Herrn Seehofer nicht passen würde, aber das ist mir wurscht.

Das Kistenregal ist mir inzwischen vertraut, …
   
   
   

… in das die aus den Pappkartons heraussortierten Kleidungsstücke nach Art und Größe hineingestapelt werden.

Ist der Karton voll, wird er geleert und die Sachen abgezählt in einen Pappkarton gepackt. Dabei kann man sich leicht verzählen, dann muss alles nochmal raus und nachgezählt werden, und geschlossen werden darf er erst, wenn er richtig voll ist. Bei einer Ladung „Hemden Langarm Größe L“ dauerte das ewig, weil Karton zu groß und Hemden relativ wenig Platz einnehmend. Und wenn der Karton nicht richtig voll ist, knautscht er zusammen und geht womöglich kaputt.

In diese Kiste kommt erstmal nix mehr rein, …
   
       
    … da entsprechender Karton in Arbeit.    
   
   

Zipper sind Pullover mit Reißverschluss, Hoodies Kapuzenpullover – muss man als textil Ungebildeter alles erstmal lernen. Der Karton mit Pullovern XXL verspricht schneller voll zu werden als der mit Hemden. Aber selbst das dauert – denn in den Karton passt mehr rein als in die Kiste, und in den Neuspendenkartons sind erstmal alle Größen, nur nicht XXL …
Aber irgendwann ist auch dieser Karton voll und kann mit Klebeband verschlossen werden.

Die meistens der zahlreichen Jeans sind sauber und heil, und wenn sie Löcher haben, …
   
       
   

… ist das modisch gewollt.

Allerdings gibt es auch für kaputte Jeans noch Verwendung:
   
       
   

Projekt Bridge and Tunnel nähen auf diese Weise in Arbeit gebrachte Flüchtlingsfrauen aus Jeansresten hochwertige Taschen, Rucksäcke und ähnliches zusammen.
Also, wenn Ihr noch kaputte Jeans daheim habt, bringt sie zu Hanseatic Help oder zu jemandem, den Ihr kennt und der demnächst dort wieder hinfährt.

   
         
15.10.16   Hanseatic Help hat Geburtstag    
       

 

 

Ein Jahr gibt es diese segensreiche Einrichtung jetzt, in den jetzigen Räumen noch nicht ganz so lang, und langsam trudelt eine größere Menge Leute ein, etwa zu Hälfte mit deutscher, zur anderen mit arabischer oder Farsi/Dari-Muttersprache (und einigen anderen). Für Kuchen und für herzhafte Leckereien, letztere von der orientalischen Küche inspiriert, ist gesorgt, hungrig geht niemand heim.

Interessant sind die Vorträge über die Arbeitsweise von Hanseatic Help.
Während Altkleidersammlungen z.B. des Roten Kreuzes oft ballenweise verkauft oder im günstigsten Fall unsortiert in einen LKW verpackt und in irgendeinem Krisenland ausgekippt werden, wo dann vor Ort entschieden wird, was noch brauchbar ist und was nicht (vieles eher nicht), wird bei Hanseatic Help penibel vorsortiert – auf den Kisten steht genau drauf, was in welcher Größe und Stückzahl drin ist.

   
         

   
   

Damit man die jeweiligen Kisten vor der LKW-Verladung wieder findet, gibt's Deckenmarkierungen.

   

 

       
   

Eine uralte Latrinenparole wird in den Geburtstags-Vorträgen zum wiederholten Mal widerlegt, nämlich, dass das, was jetzt den Flüchtlingen gegeben wird, bei der Versorgung der einheimischen Bedürftigen, z.B. der Obdachlosen, nachher fehlt. Diese Hetzer, die ansonsten zur Versorgung ihrer unter die Räder gekommenen Landsleute keinen Finger krumm machen, sollten lieber hier mal mithelfen (vorausgesetzt, sie lassen ihre Nazisprüche daheim und halten während des Einsatzes ihren Alkoholpegel im Rahmen), dann würden sie merken, dass z.B. bei den Kleiderspenden eine Konkurrenzsituation kaum gegeben ist:

   
   

— Geflüchtete brauchen meist kleinere Kleidergrößen und eher Sommerkleidung (wenn auch nicht nur).
— Hiesige Obdachlose, die oft auf der Straße nächtigen, brauchen größere Größen, schon damit sie ihre Sachen zur Not übereinander anziehen können.

   
   

Dementsprechend gibt Hanseatic Help Kleider nicht nur an Flüchtlingshilfsorganisationen aus, sondern auch an Suppenküchen (die oft nicht nur Suppe sondern auch Kleidung verteilen), Frauenhäuser und andere Einrichtungen. Alle Empfänger werden vorher geprüft, ob sie korrekt arbeiten und nicht etwa Kleidung etc. weiterverkaufen.

   

 

 

Neben regelmäßigen Hilfstransporten nach Erbil/Nordirak (Kurdistan), Griechenland und Sizilien in die dortigen Flüchtlingslager sowie in die Ukraine gibt es Sonderaktionen wie die Verteilung von 100.000 Winterjacken, die der australische Unternehmer Henry Ngai vergangenen Dezember spendete. Hanseatic Help organisierte im Januar die Verteilung der warmen Kleidung an 22 Ausgabestationen in ganz Deutschland – 3.000 Kilometer war der LKW unterwegs.

   
         
   

Manche Kleiderspenden kann man nicht weitergeben. Mit High Heels oder sexy Unterwäsche machst Du keinen Flüchtling oder Obdachlosen glücklich. Was tun?
Man eröffnete im Karoviertel einen Secons-Hand-Laden: Hanseatic Heels. Dort fanden die Teile guten Absatz, und vom Erlös konnte dann wieder Nützlicheres gekauft werden – „Hacken für Jacken“. Aktuell ist der Laden wieder geschlossen, aber vielleicht wird er nochmal reaktiviert.

   
         
   

Aktuell wird ein Hilfstransport mit Frauen- und Kinderkleidung nach Haiti geschickt, in ein vom Hurrican „Matthews“ zerstörtes Waisenhaus. Hierzu werden noch Packer/innen gesucht. Termin: Mittwoch 19.10. 12–17h, Bunker Wedel, Pinneberger Str. 2, 10 Minuten vom S-Bahnhof Wedel entfernt.
Mehr dazu: http://www.hanseatic-help.org/ – runterscrollen bis „Aktuelle Projekte“.

   
         
   

Gelegentlich doktere ich auch in meinem gelernten Beruf herum.
So hatte ich kürzlich einen aus einer Kaukasusrepublik geflüchteten Mann vor mir, der kaum deutsch spricht und bei dem ein seltener Darminfekt festgestellt wurde. Das Labor meinte, den gäbe es gehäuft bei HIV-Infizierten, und ich sollte den Patienten mal testen.

Jetzt gibt es eine Vorschrift, dass ein HIV-Test nur nach vorheriger Aufklärung des Patienten erfolgen darf. Woraus sich ein neues Problem ergibt, nämlich dass weder der Patient noch die Dolmetscherin (ebenfalls Flüchtling von dort) wissen was HIV ist.
Ich erkläre, dass HIV das Virus ist, das die Krankheit AIDS, russisch SPID, überträgt, dass man das heutzutage mit Medikamenten gut behandeln kann, ich auch wüsste wo, und dass ich Leute kenne, die schon über 20 Jahre damit leben. Es gibt ein paar Erklärungen hin und her, schließlich lässt sich der Mann Blut abnehmen und bekommt einen Termin eine Woche später, bis dahin müsste alles klar sein.

Es ist schon zwei Tage später klar: Test negativ. Ein positives Ergebnis, d.h. das Vorliegen einer HIV-Infektion, hätte ich natürlich nur persönlich mitgeteilt. Der Patient wohnt 30 Kilometer weg, die Dolmetscherin dort im Haus nebenan. Eine Nachricht „Test negativ“ könnte missverstanden werden, so schicke ich eine SMS:
„Test ist fertig. Alles gut, SPID njet.“

   
       
   

Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
31/12/17


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