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"Containertagebuch 48"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
   

Liebe Tagebuchfans,
es war jetzt wieder länger Sendepause, wer neu im Verteiler ist: Herzlich willkommen !
Hier könnt Ihr nachlesen, was bisher d.h. seit Herbst 2015 passiert ist ——>
Herzliche Grüße, Ernst.

   
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Stell Dir vor, Du liegst im Krankenhaus und wirst am Blinddarm operiert. Du hattest Schmerzen, es ging Dir schlecht, man hat Dir gesagt, dass man das operieren kann, keine große Sache, in ein paar Tagen isses vorbei. Jetzt stellst Du Dir gar nichts vor, denn Du liegst in Narkose, bist ruhig eingeschlafen, denn Du bist ja in den besten Händen.

Problem: Das Krankenhaus liegt in Syrien.

Und während man beginnt, Deinen Bauch zuzunähen, wird das Krankenhaus bombardiert.

Die Operation muss abgebrochen werden.

Was genau passiert ist, weiß niemand, auch nicht ob Dreck in die Wunde gekommen ist, aber Dein Bauch eitert wochenlang, bis er langsam zuheilt, unter Hinterlassung einer hässlichen schmerzhaften Narbe …

Irgendwann ist die junge Frau, der das passiert ist, in Deutschland und in meiner Sprechstunde gelandet. Die Narbe sieht so aus, wie eine schlecht verheilt Blinddarmnarbe halt aussieht, auf schon leichten Druck mit dem Finger tut sie weh.

Ich kann nicht viel machen, außer sie zum Chirurgen zu schicken, der da vielleicht nochmal dran muss, d.h. aufschneiden. Ob die Schmerzen dann weg sind, ist fraglich, denn das „Schmerzgedächtnis“ hatte ja vier Jahre Zeit zu lernen, und was der Frau vor und auf der Flucht sonst noch zugestoßen ist (und was solche Schmerzen verstärken kann), wissen wir nicht – man kann nicht alles auf einmal fragen.

   
         

Horst/Mecklenburg,
2.6.2017

 

In unserer heutigen Sprechstunde melden sich zwei Männer, beide haben aus Afghanistan schmerzhafte Lähmungen der rechten Hand mitgebracht, der eine aufgrund eines Messerstichs, der andere wurde angeschossen. Der Lagerarzt gibt ihnen Paracetamol-Schmerztabletten, sonst passiert nichts.

Jetzt kann man Paracetamol gegen Nervenschmerzen einnehmen oder sie an die Wand schmeißen, die Wirkung ist die gleiche. Sinnvoll ist es, die Betroffenen einem Handchirurgen vorzustellen, der versucht, die lädierten Nerven wieder zusammen zu nähen, gefolgt von einem krankengymnastischen Übungsprogramm – ob das klappt, ist eine andere Sache, aber man hat als Arzt die Pflicht, das zu versuchen bzw. solche Maßnahmen einzuleiten.
Ich schreibe beiden eine solche Empfehlung, inzwischen hab ich gehört, dass die manchmal erfolgreich sind – mehr erfahre ich nicht, denn der Kollege ist für mich ja immer noch unerreichbar.

In den Ausweisen der beiden steht, neben der Auflage, in Horst zu wohnen: „Aufenthaltsbeschränkung auf den Kreis Ludwigslust-Parchim und die Landeshauptstadt Schwerin“. Das erinnert mich an einen Eintrag in meinen eigenen Pass 1969 mit einer ähnlichen Einschränkung auf den Kreis Königswusterhausen und „Berlin/Hauptstadt der DDR“.

Die Möglichkeiten, diesen gastlichen Ort zu verlassen, sind ja ohnehin eingeschränkt.

   
   
   

Am Wochenende fährt gar nichts, in den Schulferien fast nichts und während der Schulzeit – naja.
Das Grundrecht auf Freizügigkeit sieht anders aus.

Ich selber brauche ja keinen Bus und darf auch (seit 1989/90) die nahe Landesgrenze ungehindert und unkontrolliert überschreiten, die Sonne strahlt vom blauen Himmel, und so steht einem Ausflug in die malerische Lauenburger Altstadt nichts mehr im Weg.

   
   
   

Wobei die Verhältnisse auch in Lauenburg nicht immer so malerisch sind …

   
   
   

Hochwasserstandsanzeige von 2013

   

 

       
   

… und immer weniger sein werden, vor allem nachdem jetzt Mr. Trump den Klimawandel für ungültig erklärt hat, ähnlich wie AfD-Nazis und neuerdings einige Dumpfbacken aus unserer „christlichen“ Regierungspartei namens „Berliner Kreis“.

Was wiederum bedeutet, dass wir klimabedingt zukünftig mit Fluchtbewegungen konfrontiert sein werden, gegen die unser Herbst 2015 am Hauptbahnhof an einen gemütlichen Betriebsausflug erinnern wird.

   
   

 

   
3.6.2017  

Zum „Herunterfahren“ melde ich mich wieder mal bei Hanseatic Help zum Klamottensortieren. Heut sind Schuhe dran. Man muss sie sichten, und dann nach Art und Größe in die richtigen Regalfächer einsortieren.

Das Aufräumen fällt selbst einem bekennenden Messie wie mir leichter als ähnliches in der heimischen Wohnung zu tun, denn hier ist man von netten Leuten umgeben, die stressarm das gleiche oder ähnliches machen, und wenn man keine Lust mehr hat oder das Kreuz wehtut, hört man auf und kommt ein andermal wieder.
   
   
   

Nicht überall steht die Größe drauf, dann braucht man Vergleichsmaterial, stellt die Größe fest und markiert den Schuh. Wenn man keine Schuhbänder zum Zusammenbinden hat, hilft ein Gummiband.

   

 

   
    Hier war es einfach. Drei Kisten mit neuen Damenstiefeln, alle Größe 40 vom gleichen Typ. Hat sich wohl nicht gut verkauft.    
         
   

Zum Schluss gibt's ein kleines Problem: Zwei linke Schuhe, die rechten fehlen.
Die Info, dass wir keine Rechten mögen, hat der Spender wohl falsch verstanden …

Als ich geklärt hab, was mit den Linken passiert (in die Kiste der Ungeklärten) fällt mir ein Pärchen auf, diesmal sind rechts und links vorhanden. Zweimal weiß und die gleiche Marke, aber sehr ungleich groß, 39 und 45. Das große Paar neu (das Plastikband ist noch drin), das kleine mit Gebrauchsspuren:
   
       
   

Vielleicht gehörten die tatsächlich einem Pärchen?
Ich phantasiere, dass Träger/in Nr. 39 dem Großen ein Partnerlook-Paar schenken wollte, und diese Spende aus irgendeinem Grund nicht ankam. Woraufhin Nr. 39 auch keine Lust mehr auf diese Schuhe hatte und sie Hanseatic Help spendete.

Und jetzt wird's tragisch. Unbarmherzig trenne ich das (liebende?) Paar.

Denn die Regalfächer für Größe 39 und 45 liegen weit auseinander.

   
       
   

Bis demnächst!

   
         
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Letzte Änderung:
31/12/17
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