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"Containertagebuch 49"
Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen
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13.6.2017 |
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Flüchtlingslager Nostorf/Horst (Mecklenburg),
frühe Morgenstunden
Eine Kolonne Polizeifahrzeuge ist aufgefahren. 40 Menschen aus
Afghanistan, Somalia und anderen Elendsstaaten werden aus den Betten
gescheucht, müssen in aller Eile packen – auch Kinder werden nicht
verschont – und müssen Busse besteigen, die sie zum Hamburger Flughafen
bringen.
Wir vom Flüchtlingsrat erfahren das erst, als die Deportierten schon in
Oslo sind, vor Ort durfte niemand telefonieren wie bei solchen
gestapoartigen Überfällen üblich. Mittlerweile sind mehrere Männer
unter Zwang weiter nach Kabul gebracht worden, was von Deutschland aus
derzeit nicht passiert, „dank“ eines Taliban-Überfalls auf die deutsche
Botschaft, die seither funktionsunfähig ist.
Wenn sich schon Botschaftsmitarbeiter/innen hinter hohen Mauern und
Wachleuten (von denen mehrere beim Überfall getötet wurden) nicht
schützen können, wieviel weniger können das Deportierte, die vielleicht
noch ein paar Euro in der Tasche haben.
Fazit: Abschiebung, zumindestens nach Afghanistan, ist
Mord, jedenfalls solange Taliban oder IS dort ihr Unwesen
treiben.
Ich habe die Peitschenstriemen auf den Rücken junger afghanischer
Männer gesehen, ich habe mit einer jungen Frau gesprochen, die 17jährig
von den Taliban einem weit über 40jährigen als „Ehefrau“ zugeführt
wurde und flüchten konnte. Wobei die junge Frau betont, noch Jungfrau
zu sein, weil Täter impotent und sie nach jedem „Fehlversuch“
verprügelt hat. Und sie war nicht die einzige.
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Horst/Mecklenburg,
14.7.2017
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Wir sind mal wieder auf unserer Beratungsfahrt (alle zwei
Wochen) vor Ort.
Ein Afghane kommt aus dem Lager, seine Frau ist im 4. Monat schwanger
(vier Wochen vorher habe ich sie noch selber gesprochen) und blutet
seit Wochen: ‘sie war kurz im Krankenhaus und blute jetzt weiter, der
Lagerarzt mache nichts. Sie sei zu schwach zum Aufstehen, wir möchten
hinkommen’.
Ich gehe mit dem Mann und der Dolmetscherin zum Lagereingang, zeige
Personal- und Arztausweis und erkläre dem in eine Rasierwasserwolke
gehüllten Wachmann mein Anliegen.
„Sie dürfen hier nicht rein, Sie sind vom Flüchtlingsrat“.
Das hört sich an wie „Sie sind der Feind“.
Ich weise den Mann darauf hin, dass es schon einmal eine Totgeburt
infolge verspäteter Krankenhauseinweisung aus Horst gegeben habe, wir
dies genau dokumentieren und im Fall von Komplikationen entsprechend
breit publizieren würden, er möge das bitte weitergeben.
Das tut er tatsächlich.
Wenige Minuten später steht eine Frau vor uns, begleitet von Mister
Rasierwasserwolke, und stellt sich als Sozialpädagogin und Mitglied der
Lagerleitung vor (das nennt sie natürlich anders, die genaue
Berufsbezeichnung hab ich vergessen).
„Ach, Herr Soldan, Sie sind das, Ihre Berichte verfolge ich
genau“.
Schön dass jemand meine Berichte liest, die ich über jeden Patienten
verfasse und ihm auftrage, diesen dem „Camp Doctor“ zu geben, in der
Hoffnung, dass es irgendwas nützt. Und jetzt weiß ich auch, wo sie
landen, bisher hatte ich keine Ahnung, was damit passiert (außer dass
der Flüchtlingsrat eine Durchschrift bekommt).
Sie erklärt, dass die Frau schon mehrere Male im Krankenhaus gewesen
sei (Berichte kann sie nicht vorweisen), und dass alles
Menschenmögliche gemacht würde.
Wir entgegnen, dass wir das, zumal uns der Zutritt verwehrt würde,
nicht überprüfen könnten, und dass nach dem Todesfall beim Kind der
Ghanaerin verstärkte Aufmerksamkeit geboten sei.
„Das sind schon fünfzehn Jahre her“.
Seit 2010 sind das noch nicht mal halb so viel!
Mehr hier:
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Die Ghanaerin Mercy A. war hochschwanger, als sie Anfang
April 2010 in Hamburg eine Duldung beantragte und in die Unterkunft ins
mecklenburg-vorpommersche Nostorf gebracht wurde. Bis dahin war ihre
Schwangerschaft problemlos verlaufen. Auch der Gynäkologe in
Boizenburg, zu dem A. nach ihrer Ankunft in Nostorf überwiesen wurde,
stellte keine Auffälligkeiten fest. Der errechnete Geburtstermin für
das Kind war der 31. Mai 2010.
Doch fünf Tage nach dem letzten Termin beim Gynäkologen
verlor A. nachts Fruchtwasser und meldete sich auf der Krankenstation
der Flüchtlingsunterkunft. Dort wurde sie weder untersucht noch wurde
ein Krankenwagen gerufen. Die Krankenschwestern sagten, wenn ich keine
Schmerzen hätte, könnten sie nichts für mich tun, sagt Mercy A.
Das wäre laut der Hamburger Gynäkologin Cosima Vieth
notwendig gewesen, da ein Fruchtwasserverlust den Beginn der Geburt
bedeute und ohne begleitende Wehen Komplikationen entstehen könnten.
Man kann schon sagen, dass ein liegender Transport ins
Krankenhaus erfolgen sollte, sagt Vieth. Außerdem bestehe nach einem
Fruchtwasserabgang ein erhöhtes Infektionsrisiko.
Statt ins Krankenhaus wurde A. am nächsten Tag in die
Flüchtlingsunterkunft in Jürgenstorf im Landkreis Demmin gebracht,
viereinhalb Stunden Busfahrt entfernt.
Bevor ich in den Bus einstieg, spürte ich mein Baby noch,
erinnert sich Mercy A. Während der Busfahrt verlor ich weiterhin
ständig Fruchtwasser, schwitzte unaufhörlich und wurde immer
benommener.
Völlig entkräftet kam sie in der neuen Unterkunft an.
Erst am nächsten Morgen wurde sie in das eine Stunde
entfernte Kreiskrankenhaus Demmin gebracht, wo weder Bewegungen noch
Herztöne des Fötus festgestellt werden konnten und das Kind tot zur
Welt kam. Laut A.’s Anwalt war die Todesursache eine bakterielle
Infektion. Ein Strafverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung durch
das medizinische Personal in der Nostorfer Unterkunft war 2010
eingestellt worden. Es könne kein schuldhaftes Verhalten der
Angestellten nachgewiesen werden, hieß es damals.
Quelle: taz [Link existiert nicht mehr; Red. 7.12.17]
Lagerleiterin und Rasierwasserwolke verabschieden sich, und
auch wir verlassen diesen ungastlichen Ort, für die nächsten zwei
Wochen jedenfalls.
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Zum G20 und den Demonstrationen dagegen
Natürlich war ich dabei, jedenfalls auf der großen Demo am 8.7.
„Solidarität statt G20“.
Die Demo-Route war von Senat und Polizeiführung zusammengestrichen
worden, die erst 40.000, später 76.000 standen mehr als sie liefen.
Alle waren friedlich, meistens auch die Polizei, deren Führung am
Hauptbahnhof vor der Demo noch eine Hundertschaft bei schwülem Wetter
behelmt und mit voller Montur im Laufschritt über die
Altmannbrücke hetzt. Später kommt heraus, dass von angeblich fast 500
verletzten Polizisten mindestens die Hälfte der Betroffenen durch
Kreislaufprobleme bei derart sinnlosen Laufübungen zu Schaden kam –
aber alles erstmal den bösen Demonstranten in die Schuhe schieben.
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Millerntorplatz – wir sind da !
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Die Kurden lassen uns nicht verhungern. Ob da der Vorsitzende
Öcalan zuschaut oder nicht, ist mir wurscht.
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Am Rand der Demo monierte die Polizei einige PKK-Fahnen, die
wurden eingerollt, und gut war’s.
Weniger sanft ging’s am Rand der Kundgebung, am Helgoländer
Damm/Zirkusweg, zu.
Dort marschieren schwer Gepanzerte auf, sie haben noch nicht mal
Länder- oder Bundespolizeikennung. Völlig unbegründet haben sie
einzelne Menschen herausgegriffen und abgeführt, danach ein kurzer
Wasserwerfer-Einsatz, das gibt natürlich große Unruhe. Kurzes Gerangel,
danach wird es friedlicher, und die Kundgebung kann weiter gehen. Ich
selber geh nicht mehr in die Nähe solch neuralgischer Punkte,
da zu alt und zu langsam. |
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Mit schmerzenden Füßen versuche ich schließlich, eine
U-Bahn-Station zu erreichen. Der Park Planten und Blomen ist dicht, und
in der Mitte des Holstenwalls, d.h. der Parallelstraße zum Park, steht
eine lockere Polizeikette aus Thüringen, die niemanden durchlässt,
wegen „Protokollstrecke“. Wobei die freundlich sind und die Helme
abgesetzt haben.
Gorch-Gock-Wall scheint frei, zumindest für Fußgänger – bis zur
nächsten Kreuzung. D.h. der erste Niedersachse lässt uns durch, sein
Kollege 10m weiter nicht. Wie man zur U1-Station Stephansplatz kommt,
weiß er nicht, Niedersachse halt. Die Parallelstraße rechts passierbar,
bis zur U-Bahn-Station, aber nicht weiter. Wobei mich das nicht mehr
interessiert.
Die U1 fährt, mehr will ich nicht – nur noch heim.
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P. s.: |
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Zu den Zerstörungen
Die Polizeiführung hat alles getan, um die Leute aufzuwiegeln,
klares Ziel: Stimmung gegen links. Schließlich sind bald Wahlen.
Und natürlich gibt es Personen mit der Intelligenz und der
Vorausberechenbarkeit eines Wespenschwarms.
Stochert man in einem Wespennest herum, werden die Wespen schnell
ausschwärmen und zustechen. Man hat dann einen Vorwand, das Wespennest
zu zerstören.
Lässt man die Wespen in Ruhe, passiert normalerweise nix.
Bei den Linksautonomen gibt es auch einige solche Leute, das weiß man
von den 1.-Mai-Krawallen in Berlin und Hamburg. Die Polizeiführung
wusste also genau, was zu tun war, um solche Ausschreitungen zu
provozieren. Das haben sie umgesetzt, und wir haben den Salat.
Im übrigen waren bei den Krawallos nicht nur Linke, sondern
auch „Erlebnistouristen“. Und Rechte, nicht zu knapp. Optisch sind sie
im schwarzen Dress von den Linken ja nicht zu unterscheiden. Aber wenn
eine Patientin von mir berichtet – Studentin und äußerlich als
Migrantin erkennbar – dass sie von solchen Leuten angeblafft wurde, sie
solle keine deutschen Steuergelder verprassen, sondern in ihr Land
zurückgehen, dann wird klar, aus welcher stinkenden braunen Ecke das
kommt.
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Neonazis
geben Teilnahme an G20-Protesten zu
( ... ) Die Gewalttäter hätten sich wie Neonazis verhalten,
sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziére noch kurz nach den
Krawallen in Hamburg am Rande des G20-Gipfels. Gemeint waren damit die
vermeintlich linken Randalierer, die laut Versicherungen einen
Sachschaden von rund zwölf Millionen Euro verursachten.
Nun wird klar, dass sich tatsächlich
Neonazis unter die
hauptsächlich eher linken Demonstranten gemischt haben. Thüringen24
liegen exklusiv zwei Bestätigungen von rechtsextremen Gruppen vor, dass
ihre Mitglieder sich an den Anti-G20-Protesten beteiligt und zum Teil
auch Sympathien für die gewalttätigen Ausschreitungen haben.
Ganzer Text:
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https://www.thueringen24.de/welt/article211302087/Exklusiv-Neonazis-geben-Teilnahme-an-G20-Protesten-zu.html |
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… |
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Bis demnächst!
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Der
Soldan-Bericht 49 als PDF zum Download: ——> |
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Letzte Änderung:
31/12/17 |
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