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"Containertagebuch 50"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
18.8.2017  

Horst (Mecklenburg)

Vor unserem Flüchtlingsratscontainer steht Jasmina (Name geändert) aus Mazedonien mit ihrem Großvater. Sie ist ein zierliches Persönchen mit einem pausbäckigen Kindergesicht, das ihr mit ihren fünfzehn Jahren auch zusteht. Nicht passend ist ihr Kugelbauch – sie ist im achten Monat schwanger. Da muss natürlich schnell etwas passieren, denn Mazedonien gilt als „sicheres Herkunftsland“ – die Abschiebung droht.

Um herauszufinden, welche Hilfe jetzt am dringendsten ist, brauchen wir erst mal eine gemeinsame Sprache. Mit dem Großvater geht das, Mazedonisch und das Kroatisch, das ich seit Ewigkeiten an der Norderstedter Volkshochschule lerne, sind einander ähnlich. Andererseits bekomme ich erstmal nur heraus, dass er Hilfe sucht, für seine schwangere Enkelin. Selber hat er eine Darmkrebsoperation hinter sich, mit der Folge eines künstlichen Darmausgangs, aber das sei nachrangig.

Ich nehme die Kleine mit in den Container. Ihre Sprache ist für mich nahezu unverständlich, schließlich finde ich eine Telefondolmetscherin, die es auf Albanisch hinbekommt (in Mazedonien gibt es viele Albaner oder, wie hier, albanisch sprechende Roma).
Vor acht Monaten war sie in einem Cafe, habe dort offensichtlich etwas ins Getränk geschüttet bekommen – und fand sich auf der Straße wieder.
Vergewaltigt.
Aus Scham sagte sie erstmal nichts. Als ihre Schwangerschaft unübersehbar wurde, verstieß sie ihre Großfamilie, da „Schande“. Der Großvater ging mit ihr zur Polizei, dort wurde sie nicht mal angehört, kein Protokoll, nichts. Auch über die Schwangerschaftskontrollen beim Arzt wurden keine schriftlichen Unterlagen angefertigt, kein Mutterpass wie bei uns üblich.

Von ihrer Mutter kam keine Hilfe, Vater ist tot oder sonstwie nicht existent, lediglich ihre beiden Geschwister (14 und 19) sowie die Großeltern gingen mit ihr. Der Großvater war schon zweimal in Deutschland, also versuchen sie jetzt wieder ihr Glück.

Wir gehen zur Eingangskontrolle und verlangen eine Verantwortliche zu sprechen, da minderjähriges hochschwangeres Vergewaltigungsopfer. Und tatsächlich, diesmal geht es ganz schnell. Ein Arzt und eine Krankenschwester kommen heraus (das allererste Mal seit ich in Horst bin!), fragen nach, sind freundlich und entscheiden, dass Jasmina sofort zusammen mit dem Großvater als (minimal deutsch sprechende) Kontaktperson in die gynäkologische Ambulanz eines Krankenhauses gebracht wird.
Endlich funktioniert mal etwas.

Sicher liegt noch ine Menge Arbeit vor uns. Denn ob Mazedonien im Allgemeinen ein „sicheres Herkunftsland“ ist, kann man in Frage stellen. Für Roma, und besonderes für vergewaltigte schwangere Mädchen ist es das sicher nicht.
   
   

Keine Angst, so heftig geht es nicht weiter.

   
         

12./13.8.2017

 

Hamburg/Hanseatic Help

Meine Mitstreiterin H. muss wegen eines Trauerfalls in den Iran fliegen. Da sie vor Ort jede Menge hilfsbedürf-tiger Familien kennt, schickt sie einen Hilferuf an Hanseatic Help. In Unkenntnis, dass die Hilfsgüter als Flugreisegepäck transportiert werden müssen, packt man dort an die vierzig Pakete zusammen, genug für einen Kleintransporter.
Nachdem das Missverständnis geklärt ist, bekommen wir zum Umpacken zwei große Rollkoffer, die H. irgendwie in den Flieger bekommt (jedenfalls hab ich seit ihrem Abflug keine Nachricht mehr gekriegt, sonst wär’ sicher ein Hilferuf erfolgt). Um den Rest kann sie sich vor Abreise nicht mehr kümmern, der müsste peu a peu in den nächsten Monaten von Bekannten mitgenommen werden.
Aber bei Hanseatic Help kann er nicht bleiben, ich sage zu, den irgendwo unterzubringen.

   
   

 

   
       

Das soll in den Flieger …                           … und das in ein Zwischenlager

   
         
    Sonntagmittag kämpfe ich mich durch den Innenstadt-Verkehr zu Hanseatic Help und stopfe mein Auto voll …    
         

   
         
   

… in Unkenntnis, wie viele Tage ich so beladen jetzt durch die Gegend fahren muss.

Morgens hab’ ich schon mal bei Facebook einen Hilferuf losgelassen. Und tatsächlich wird mir ein Plätzchen im Wedeler Bunker zugesagt – allerdings befinden sich aktuell weder Zusagende noch Bunkerschlüsselinhaber in Hamburg. Also rauf auf die Elbchaussee und im Verdacht nach Wedel, immerhin weiß ich wo der Bunker ist – mehr dazu im Containertagebuch Nr. 42.
   
   

 

   

   
   

 

   
   

Glück gehabt! Im Bunker probt eine Musikgruppe. Der in Kiel weilende Schlüsselinhaber instruiert die Musiker, dann darf ich rein. Finde einen Gabelstapler mit Palette, so dass ich nicht x-mal laufen muss.

Und mein Stapel stürzt unterwegs auch nur einmal zusammen …
   
   

Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
31/12/17
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