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"Containertagebuch 55"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
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Horst/Mecklenburg,
Februar 2018
  Die Praktiken der Abschiebebehörden werden zuneh-mend infamer. Jetzt werden schon, da unauffälliger (bei Abschiebeflügen gibt es immer wieder Demonstrationen vor den Flughäfen), Frachtschiffe zur Abschiebung missbraucht, indem man Menschen, deren Asylantrag in Schweden abgelehnt wurde und die deshalb befürchten müssen, von dort in ihre von Krieg und Hunger verwü-steten Herkunftsländer abgeschoben zu werden, und die deshalb nach Deutschland weiter geflüchtet sind, auf Frachtschiffen nach Schweden zurückschickt. Wobei es auch hier Grenzen gibt, nicht nur geographische.

Das schon erwähnte „Kind Nr. 867“ und seine Familie sind nochmal davon gekommen. Sie sollten nach Schweden zurück gebracht werden, dieser Staat depor-tiert bekanntlich auch Familien nach Afghanistan, im Gegensatz zu Deutschland, derzeit. „Zum Glück“ lag das Kind gerade mit einer schweren Bronchitis im Kranken-haus, die Mutter als Begleitung dabei, so dass das Ab-schiebekommando nur den Vater und das zwei Monate alte Baby antraf, und diese in die nächste Hafenstadt fuhr. Der Vater wusste sich nicht anders zu helfen, als den verdutzten Beamten das Baby in die Arme zu legen und zu erklären, er könne das Kind nicht versorgen, jetzt seien die Herrschaften für sein Kind verantwortlich. Das war dem Kommando noch nicht untergekommen, sie wussten nicht was sie machen sollten und brachten nach kurzer Beratung Vater und Kind nach Horst zurück.
Natürlich ist die Familie inzwischen anderweitig und vorläufig sicher untergebracht.

   

 


   

 

Die Angst vor plötzlichen Abschiebungen ist in Horst allgegenwärtig. Auch bei Menschen, deren Asylantrag noch läuft. Das liegt unter anderem an dem barschen Umgangston vieler Mitarbeiter mit den Geflüchteten, die sich für Erklärungen wenig Zeit nehmen. So entsteht Panik, zum Teil ohne triftigen Anlass.
Gestern Abend rief mich eine verzweifelte Helferin an, die wusste, dass ich regelmäßig in Horst bin. Ihre dort untergebrachten Schutzbefohlenen sollten sofort ihre Sachen packen, sie würden verlegt. Sie bekamen einen mehrere Seiten langen Schrieb vorgelegt, den sie unter-schreiben mussten. Da sie über ein anderes EU-Land eingereist waren, befürchteten sie, dorthin ausgewiesen zu werden.
Ich ließ mir die Unterlagen mailen. Daraus ging hervor, dass die Familie in eine andere Unterkunft, nach Sach-sen-Anhalt, verlegt würde, und dort ihren Asylantrag stellen könnten. Also erstmal Entwarnung.
Warum jetzt auf einmal Sachsen-Anhalt, und warum das sofort und abends bei Dunkelheit, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich befürchte, dass den Menschen damit unter-schwellig vermittelt werden soll, dass sie hier nicht will-kommen sind. Das vielsprachige Willkommensplakat am Lagereingang – eine Lüge.

   
         


Die Schikanen des Lagerpersonals gegenüber uns vom Flüchtlingsrat nehmen in letzter Zeit wieder zu, das geht bis zum Stinkefinger für unseren Anwalt. Bei mir sind sie noch einigermaßen freundlich, warum auch immer – daran, dass ich Arzt bin, kann es nicht liegen, denn mei-nem Rostocker Kollegen wurde kürzlich in barschem Ton der Zutritt zum Beratungscontainer verweigert mit der Begründung, der sei nur für den Flüchtlingsrat Ham-burg, und nicht für solche aus MeckPomm. Wahrschein-lich haben sich die Herrschaften über die einwöchige Mahnwache von „Pro Bleiberecht“ geärgert, die bei den Lagerbewohnern regen Zuspruch fand und über auch die TAZ in einem langen Artikel berichtete.
Mehr hier: http://www.taz.de/!5479756/









  Unser Anwalt hat regelmäßig mehr zu tun als wir Ärzte (ein Psychiater und ich), so dass sich vor dem Container längere Warteschlangen bilden und wir einen zweiten Raum brauchen könnten. Mal kriegen wir den, und mal nicht.
Letzte Woche bekamen wir ihn nicht.
Arztbriefe lesen und erklären kann man, solang es nur kalt ist und nicht regnet oder schneit, ja noch im Freien, Atteste schreiben wird schwierig, körperliche Untersu-chungen gehen gar nicht. Zum Glück hab ich noch mein Auto – Patient/in auf den Fahrersitz, ich auf den Beifah-rersitz damit ich mehr Platz zum Schreiben habe, und los geht's.
Atteste, Blutdruck oder Blutzucker messen – kein Pro-blem mehr. Lunge abhören wird etwas schwieriger, aber zur Not geht auch das. Die Dolmetscherin, bei Bedarf, kommt auf den Rücksitz, und alle bleiben trocken.
   
   

… Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
11/3/18
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