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"Containertagebuch 56"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
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Horst/Mecklenburg,
Anfang März 2018
  Die alte Dame aus Afghanistan, deren über neunzigjähriger Mann in Griechenland gestrandet ist, hat von unserem Anwalt die gute Nachricht bekommen, dass der Mann nach Hamburg einreisen darf. Allein, sie wird ihn nur verschwommen sehen können, eine Überweisung zum Augenarzt hat der Medizinische Dienst bisher nicht für nötig befunden. Mehr als ein Attest schreiben, das die Dringlichkeit einer augenärztlichen Untersuchung und Behandlung betont, kann ich nicht. Vielleicht hat sie einen Grauen Star, wie ich. Aber meiner wird demnächst operiert – sie hätte dafür noch einen längeren Amtsweg zu absolvieren. Von den Brillenkosten ganz zu schwei-gen.
 
Am Lagereingang hat es eine optische Veränderung gegeben. Ein paar Container wurden zugunsten eines Parkplatzes abgebaut, die Kabelbrücke gleich mit da nicht mehr notwendig. Und, mein bösartiger Hinterge-danke, damit keiner mehr auf die Idee kommt, da oben gehört noch ein übler Spruch  hin, aus unserer jüngeren Vergangenheit
Jetzt isses nur noch eine Durchfahrt, gelegentlich auch für den Abschiebebus – ein Schelm der Böses dabei denkt.

   
         
Vorher:
     
         
 Nachher:      
         

Pleiten, Pech
und Pannen I

  Auf der Rückfahrt von Horst überkommt mich die Müdigkeit. Fahre, irgendwo zwischen Bergedorf und Wandsbek, rechts auf den Parkstreifen, mummel mich in Winterjacke plus meine immer bereit liegende Decke ein (wir haben -7°C) und schlafe ein Stündchen. Wache auf und will weiter fahren.
Üps, sagt der Anlasser. Und nochmal: Üps, mehr nicht.
Wenn man das Licht angelassen hat, ist bei diesen Temperaturen nach einer Stunde die Batterie leer.
Ich steige aus und überlege was zu tun ist. Erst mal Licht aus.
Die Straße ist schwach abschüssig, ob ich ihn mit Anrollen starten kann?
Aber sie ist auch vierspurig, das heißt ganz ungefährlich wird das nicht.
Rettung naht in Form des Mannes, der hinter mir geparkt hat und bereit ist, mir Starthilfe zu geben.
Allein, sein Auto ist neuer als meines und die Batterie so eingepackt, dass wie uns nicht trauen, sie auszupacken.
Er ist fast zwei Meter groß und kräftig und schlägt vor, mich anzuschieben – das funktioniert nach wenigen Metern.
 
Ich fahre mit voller Blase quer durch Hamburg und traue mich nicht, den Motor zwecks Toilettengang auszuschalten, weil er dann nicht wieder anspringen könnte. Schließlich finde ich in Hummelsbüttel einen kleinen Park, wo ich das Auto mit laufendem Motor stehen las-sen und den Baum daneben besuchen kann.
Der Parkplatz vor der TAS in Norderstedt ist abschüssig, ich fahre rückwärts hoch, schalte den Motor ab und erledige meine Wochenendeinkäufe auf dem Bauernmarkt in der Europaallee.
Das Auto springt problemlos wieder an und tut es bis heute.

   
         
Pleiten, Pech
und Pannen II


Am Sonntag den 4.3. war ich noch bei Hanseatic Help um Sachen hinzubringen bzw. für die Norderstedter Flüchtlingsunterkünfte etwas abzuholen. Die Bürofrau meinte, sie hätten so viele Geh-Hilfen, ob ich nicht ein paar mitnehmen wolle für „meine Leute“. Ich suchte mir ein Paar aus und stellte es auf meine Größe ein, um auszuprobieren, ob die Einstellungsfunktion noch funktioniert oder schon festgerostet ist.
 
Am Montag früh 5.3. muss ich in meine alte Praxis, eine urlaubende Kollegin zu vertreten. Um 8:00 verlasse ich bei Blitzeis mein Auto, wenige Meter weiter krache ich schon auf den Gehsteig. Schleppe mich irgendwie zur Praxis, Doc Claudius untersucht mich, Erstarzthelferin Barbara holt die Gehhilfen aus meinem Auto. Wir kommen zu dem Schluss dass nix gebrochen ist, nur mein Kreuz/Ischiasnerv tut scheußlich weh. Bekomme eine Schmerzspritze, Claudius will mich heimfahren. Aber ich mache lieber im Sitzen Sprechstunde, das tut nicht weh – zumal Warteschlange vor der Praxis wie am Berliner Grenzübergang Bornholmer Straße unmittelbar vor der Maueröffnung. Um 14:00 hatten wir fertig.
Zwischendrin Hilfsbedarf angemeldet mittels einer kleinen aber lauten Kuhglocke, die ich vor Jahren auf dem Flohmarkt für 1 DM erstanden hatte und die wir seitdem als Alarmanlage für Liegepatienten nutzen. Beim Aufstehen fühlte ich mich wie festgehakt in der linken Hüfte – nach den ersten Schritten ging’s dann irgendwie, Anlaufschmerz nennt das der Orthopäde. So schleppte ich mich durch die nächsten Tage.
 
Am 9.3. stornierte ich schweren Herzens meine Wochenend-Reise nach Heidelberg (Ehemaligentreffen zum 40. Jahrestag der CA-Zwangsräumung und Besichtigung des neuen als selbstverwaltetes Studentenzentrum geplanten ehemaligen US-Militärgebäudes, mehr dazu: http://weitblickforum.de/forum/thread.php?threadid=4713) und ging zum Unfallarzt, war ja ein Arbeitswegunfall. Der sah auf dem Röntgenbild eine fragliche Bruchlinie am 1. Lendenwirbel und schickte mich in die Röhre. das Wochenende dazwischen war ein bissl stressig, wobei ich nicht wirklich an die Fraktur glaubte, da in dieser Ecke keine Schmerzen. Andererseits gibt’s manchmal auch Frakturen ohne dazu passende Schmerzen.
MRT am 12.3.: Nix gebrochen – die Bruchlinie war wohl „Fliegenschiss“ – nur Verschleiß an der Lendenwirbelsäule wie von mir schon vermutet und dieser Verschleiß passend zum Schmerzort noch ein bissl „aktiviert“ durch den Sturz. Jetzt, fast drei Wochen später, kann zwar ohne Gehhilfen laufen, aber das Wiederanlaufen, wenn ich gestanden bin, oder auch das Aufstehen nach dem Sitzen tut noch ordentlich weh – irgendwo herumstehen wie es zum Beispiel bei Demos oder Kundgebung zwangsläufig vorkommt, oder Klamotten sortieren bei Hanseatic Help – ist zur Zeit unmöglich.

Fazit: Wenn ein 68er 68 wird, muss er mit Schwund rechnen.







Mal was Nettes
  Ich hatte es schon berichtet: Vor zweieinhalb Jahren, an meinem letzten Tag als selbständiger Kassenarzt, kam als letzter Patient donnerstagabends gegen 21:00 Uhr ein junger Syrer mit minimalen Englischkenntnissen in unsere Praxis – „Problem Toalett“. Ich brachte ihn irgendwie dazu, seine Hosen runterzuziehen und wieder hoch, nachdem ich die Bescherung gesehen hatte: „You have Hemorrhoids“ das Wort verstand er nicht. Ich zog mein Smartphone raus, googelte Deutsch-Arabisch „Hämorrhoiden“ und fand einen für mich unlesbaren Schriftzug.
Zeigte sie dem Patienten: „Ah, BOASSIRR!“

Das Wort habe ich nie vergessen und konnte es anlässlich meiner zwischenzeitlichen Sprechstunden mehrere Male nutzbringend verwenden.
Vor einigen Tagen war der junge Mann wieder da, ohne Analbeschwerden, mit etwas Harmloserem.
Spricht fließend Deutsch, studiert, hat zusammen mit seiner Freundin eine Wohnung.
Und ist Aktivist in der hiesigen Flüchtlingshilfe! 
   
         
   

… Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
26/3/18
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