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"Containertagebuch 57"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
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Liebe Tagebuchfans,  

wegen meiner inzwischen deutlichen Sehstörung durch einen Katarakt (Grauer Star), der am 7.6. operiert wird, einer längeren Wiederherstellungsphase nach meinem Sturz vom 5.3. und einiger anderer Probleme bin ich seither nicht mehr dazu gekommen, meine Mitstreiter ins Erstaufnahmelager Horst zu begleiten. Nach der OP wird das hoffentlich bald wieder.
Das Horst-Team (AntriraHorst AG) war natürlich weiter aktiv und hat übelste Machenschaften von Landesregierung, Lagerleitung und Polizei aufgedeckt, einschließlich nächtlicher Überfälle, die die Bewohner in Angst und Schrecken versetzen.  Das ist Terror!

Mehr dazu und ein Aufruf zur Kundgebung vor dem Lager am 16.6., 13 –18 Uhr hier:
http://bleiberecht-mv.org/de/2018/05/29/sammelabschiebung-25-5/

Meine Sprechstunden bei Alraune Wandsbek und TAS Norderstedt habe ich fortgesetzt.
Zuletzt stellte sich eine verzweifelte Frau vor, deren Mutter wegen einer Krebserkrankung im Sterben liegt – in Teheran. Mit Hilfe eines Arztberichts des behandelnden iranischen Kollegen und eines Photos, auf dem eine vollkommen abgemagerte und auch für den Laien als sterbend zu erkennenden Frau zu sehen war, schrieb ich ein Attest, damit die deutschen Ausländerbehörden sowie die Botschaft des Herkunftslandes schnell und unbürokratisch Reisepapiere ausstellen, damit die Tochter ihre Mutter noch einmal sehen kann.
Ich denke, das ist humanitäre Pflicht.
Ob mein Attest Wirkung zeigt, weiß ich nicht.

Manchmal schreibe ich Leserbriefe, manchmal werden sie sogar veröffentlicht – in der TAZ öfter, im SPIEGEL selten, und in der MoPo stehen die Chancen etwa halbe-halbe. Nachdem der MoPo-Kommentar am 4. Mai zum Thema Polizeiterror gegen Geflüchtete in Ellwangen kein Ruhmesblatt für diese manchmal kritische Zeitung war – man schwallte von Rechtsstaat verteidigen und Abschiebung der widerständigen Flüchtlinge – schrieb ich wieder mal einen Brief:

Der arme, arme Rechts-Staat! Abschiebung von Menschen die nichts verbrochen haben ist eine miese Menschenrechtsverletzung, und Polizisten dafür zu missbrauchen ist ein Verbrechen. Die Flüchtlinge, die das verhindern wollten, sind Helden. Das Fluchtproblem ist ausschliesslich durch Bekämpfung der Fluchtursachen Krieg, Hunger und Korruption zu bearbeiten, und nicht anders.

Im Gegensatz zu sonst, wo sie den Brief veröffentlichen oder auch nicht, bekam ich diesmal eine direkte Antwort aus Berlin vom zuständigen Redakteur für Wirtschaft und Politik:

Sehr geehrter Herr Soldan,
es ist für eine Abschiebung nicht entscheidend, ob jemand etwas verbrochen hat (was in den meisten Fällen in Ellwangen noch zu klären ist bzw. gerade geklärt wird, Stichwort Drogenhandel, Widerstand gg die Staatsgewalt, Gefangenenbefreiung) sondern ob er die Kriterien für Asyl erfüllt. Ein solches Kriterium ist beispielsweise die Frage nach Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland.
Offenbar betrachten Sie es als Menschenrecht, das jeder dort lebt, wo er will, egal ob die oben genannte Kriterien erfüllt sind, oder nicht. Ich würde gerne mal n paar Wochen in Ihre Wohnung einziehen. Bei Gefallen auch auf Dauer – mir ist gerade danach. Ich hab übrigens auch nicht verbrochen, lege auf Nachfrage gerne meine Polizeiakte vor! Das sollte dann ja auch kein Problem sein. Wenn Sie mir mal Ihre Anschrift schicken ;))
Spaß beiseite: Natürlich muss man Fluchtursachen bekämpfen, da sind wir uns ja einig. Das bedeutet aber nicht, dass jeder in diesem Land ohne klaren Grund bleiben darf. Jedenfalls nach meiner Meinung …
Mit freundlichen Grüßen
Christian Burmeister

Diesem Schwachsinnsansinnen musste ich doch nochmal antworten:

Sehr geehrter Herr Burmeister,
Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Es geht nicht um die Wohnung, es geht um das Land. Wir haben ein demographisches Problem, und wir haben Menschen, die aus Profitgier Fluchtursachen generieren. Diese haben die Pflicht, den verursachten Schaden auszugleichen, indem sie die Kosten für die Aufnahme der Geflüchteten bezahlen. Denn aus Jux und Dollerei verlässt niemand seine Heimat. Hunger ist ebenso eine Menschenrechtsverletzung wie individuelle politische Unterdrückung. Wir dh die Nachfahren der Nazis haben einen Krieg mit 60 Millionen Toten verursacht und haben die Folgen zu tragen. Auf immer. Ich erfülle diese Pflicht, indem ich ehrenamtlich für Flüchtlinge und Obdachlose arbeite, mehr dazu unter www.containertagebuch.de. Und ich lasse mir diese Arbeit nicht durch Rassisten und entmenschte Bürokraten kaputt machen. Gefangenenbefreiung ist in diesem Fall Notwehr.
Deshalb mein Brief.

Veröffentlich wurde der Brief einschließlich Folgebriefwechsel diesmal nicht.


Immer wieder bekomme ich, z.B. aus Nachlässen, Medikamente gespendet. Natürlich muss ich regelmäßig überprüfen, ob die noch verwendet werden können, denn auch wenn man Menschen, die nicht krankenversichert sind, damit behandelt, hat man die gleiche Verantwortung, als wenn man das auf einem Krankenkassenrezept verordnet.
Kürzlich habe ich, zusammen mit einer Freundin, wieder aussortiert, die abgelaufenen Tabletten aus dem Blister gedrückt (dann dürfen sie, wenigstens hier, in den Hausmüll und werden verbrannt), die Blister kommen in den Plastik-/Metallmüll und die Schachteln ins Altpapier.
Es gibt Medikamente, die braucht man häufiger und bekommt sie seltener, wie Antibiotika und Schmerzmittel. Ich nehme gern noch welche an, um sie an Obdachlose, eingeschränkt versorgte Flüchtlinge und andere Menschen in Not weiter zu geben.

Also wer etwas abzugeben hat – her damit!

Andere Substanzen, wie Blutdrucksenker, Blutzuckersenker (außer Metformin), Cholesterinsenker und Psychopharmaka werden seltener gefragt, als ich welche bekomme. Die fahre ich dann spazieren, bis zum Ende der Ablaufzeit in der Hoffnung, dass ich irgendwas davon doch noch verwenden kann.

Euch allen wünsche ich einen schönen Sommer und mir, dass ich bis zum nächsten Containertagebuch wieder den vollen Durchblick habe!
Euer Ernst Soldan. 

   
         
   

… Bis demnächst!

   
   

 

   
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Letzte Änderung:
2/6/18
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