Liebe Tagebuchfans, |
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wegen
meiner inzwischen deutlichen Sehstörung durch einen Katarakt (Grauer
Star), der am 7.6. operiert wird, einer längeren
Wiederherstellungsphase nach meinem Sturz vom 5.3. und einiger anderer
Probleme bin ich seither nicht mehr dazu gekommen, meine Mitstreiter
ins Erstaufnahmelager Horst zu begleiten. Nach der OP wird
das hoffentlich bald wieder.
Das Horst-Team (AntriraHorst AG)
war natürlich weiter aktiv und hat übelste Machenschaften von
Landesregierung, Lagerleitung und Polizei
aufgedeckt, einschließlich nächtlicher Überfälle, die die
Bewohner in Angst und Schrecken versetzen. Das ist Terror!
Mehr dazu und ein Aufruf zur Kundgebung vor dem Lager am 16.6., 13 –18 Uhr hier:
http://bleiberecht-mv.org/de/2018/05/29/sammelabschiebung-25-5/
Meine Sprechstunden bei Alraune Wandsbek und TAS Norderstedt habe ich fortgesetzt.
Zuletzt stellte sich eine verzweifelte Frau vor, deren Mutter wegen
einer Krebserkrankung im Sterben liegt – in Teheran. Mit Hilfe eines
Arztberichts des behandelnden iranischen Kollegen und eines Photos, auf
dem eine vollkommen abgemagerte und auch für den Laien als sterbend zu
erkennenden Frau zu sehen war, schrieb ich ein Attest, damit die
deutschen Ausländerbehörden sowie die Botschaft des
Herkunftslandes schnell und unbürokratisch Reisepapiere ausstellen,
damit die Tochter ihre Mutter noch einmal sehen kann.
Ich denke, das ist humanitäre Pflicht.
Ob mein Attest Wirkung zeigt, weiß ich nicht.
Manchmal
schreibe ich Leserbriefe, manchmal werden sie sogar veröffentlicht – in
der TAZ öfter, im SPIEGEL selten, und in der MoPo stehen die Chancen
etwa halbe-halbe. Nachdem der MoPo-Kommentar am 4. Mai zum Thema
Polizeiterror gegen Geflüchtete in Ellwangen kein Ruhmesblatt für diese
manchmal kritische Zeitung war – man schwallte von Rechtsstaat
verteidigen und Abschiebung der widerständigen Flüchtlinge – schrieb
ich wieder mal einen Brief:
Der arme, arme
Rechts-Staat! Abschiebung von Menschen die nichts verbrochen haben ist
eine miese Menschenrechtsverletzung, und Polizisten dafür zu
missbrauchen ist ein Verbrechen. Die Flüchtlinge, die das verhindern
wollten, sind Helden. Das Fluchtproblem ist ausschliesslich durch
Bekämpfung der Fluchtursachen Krieg, Hunger und Korruption zu
bearbeiten, und nicht anders.
Im Gegensatz
zu sonst, wo sie den Brief veröffentlichen oder auch nicht, bekam ich
diesmal eine direkte Antwort aus Berlin vom zuständigen Redakteur für
Wirtschaft und Politik:
Sehr geehrter Herr Soldan,
es
ist für eine Abschiebung nicht entscheidend, ob jemand etwas verbrochen
hat (was in den meisten Fällen in Ellwangen noch zu klären ist bzw.
gerade geklärt wird, Stichwort Drogenhandel, Widerstand gg die
Staatsgewalt, Gefangenenbefreiung) sondern ob er die Kriterien für Asyl
erfüllt. Ein solches Kriterium ist beispielsweise die Frage nach
Menschenrechtsverletzungen im Herkunftsland.
Offenbar
betrachten Sie es als Menschenrecht, das jeder dort lebt, wo er will,
egal ob die oben genannte Kriterien erfüllt sind, oder nicht. Ich würde
gerne mal n paar Wochen in Ihre Wohnung einziehen. Bei Gefallen auch
auf Dauer – mir ist gerade danach. Ich hab übrigens auch nicht
verbrochen, lege auf Nachfrage gerne meine Polizeiakte vor! Das sollte
dann ja auch kein Problem sein. Wenn Sie mir mal Ihre Anschrift schicken ;))
Spaß
beiseite: Natürlich muss man Fluchtursachen bekämpfen, da sind wir uns
ja einig. Das bedeutet aber nicht, dass jeder in diesem Land ohne
klaren Grund bleiben darf. Jedenfalls nach meiner Meinung …
Mit freundlichen Grüßen
Christian Burmeister
Diesem Schwachsinnsansinnen musste ich doch nochmal antworten:
Sehr geehrter Herr Burmeister,
Sie
vergleichen Äpfel mit Birnen. Es geht nicht um die Wohnung, es geht um
das Land. Wir haben ein demographisches Problem, und wir haben
Menschen, die aus Profitgier Fluchtursachen generieren. Diese haben die
Pflicht, den verursachten Schaden auszugleichen, indem sie die Kosten
für die Aufnahme der Geflüchteten bezahlen. Denn aus Jux und Dollerei
verlässt niemand seine Heimat. Hunger ist ebenso eine
Menschenrechtsverletzung wie individuelle politische Unterdrückung. Wir
dh die Nachfahren der Nazis haben einen Krieg mit 60 Millionen Toten
verursacht und haben die Folgen zu tragen. Auf immer. Ich erfülle diese Pflicht, indem ich ehrenamtlich für Flüchtlinge und Obdachlose arbeite, mehr dazu unter www.containertagebuch.de.
Und ich lasse mir diese Arbeit nicht durch Rassisten und entmenschte
Bürokraten kaputt machen. Gefangenenbefreiung ist in diesem Fall
Notwehr.
Deshalb mein Brief.
Veröffentlich wurde der Brief einschließlich Folgebriefwechsel diesmal nicht.
Immer wieder bekomme ich, z.B. aus Nachlässen, Medikamente gespendet.
Natürlich muss ich regelmäßig überprüfen, ob die noch verwendet werden
können, denn auch wenn man Menschen, die nicht krankenversichert sind,
damit behandelt, hat man die gleiche Verantwortung, als wenn man das
auf einem Krankenkassenrezept verordnet.
Kürzlich habe ich, zusammen mit einer Freundin, wieder aussortiert, die
abgelaufenen Tabletten aus dem Blister gedrückt (dann dürfen sie,
wenigstens hier, in den Hausmüll und werden verbrannt), die Blister
kommen in den Plastik-/Metallmüll und die Schachteln ins Altpapier.
Es gibt Medikamente, die braucht man häufiger und bekommt sie seltener,
wie Antibiotika und Schmerzmittel. Ich nehme gern noch welche an, um
sie an Obdachlose, eingeschränkt versorgte Flüchtlinge und andere
Menschen in Not weiter zu geben.
Also wer etwas abzugeben hat – her damit!
Andere
Substanzen, wie Blutdrucksenker, Blutzuckersenker (außer Metformin),
Cholesterinsenker und Psychopharmaka werden seltener gefragt, als ich
welche bekomme. Die fahre ich dann spazieren, bis zum Ende der
Ablaufzeit in der Hoffnung, dass ich irgendwas davon doch noch
verwenden kann.
Euch allen wünsche ich einen schönen Sommer und mir, dass ich bis zum nächsten Containertagebuch wieder den vollen Durchblick habe!
Euer Ernst Soldan.
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