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"Containertagebuch 58"
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Liebe Leut’, | das hat jetzt ein bissl gedauert. Inzwischen ist mein linkes Auge repariert und guckt wieder einwandfrei, mit dem rechten geht’s noch, aber das kommt Ende Oktober dran. Derzeit bin ich wieder in Aktion. Horst/Mecklenburg, 3.8.2018 Eigentlich hat Hamburg „seinen“ Geflüchteten ja freie Arztwahl eingeräumt (Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen auch), so dass die auf „Hamburger Ticket“ in Horst Untergebrachten eigentlich Versicherungskarten der AOK Bremen (die das bundesweit erledigt) bekommen müssten. Bisher haben wir dort noch keine gesehen, die Arztversorgung gleicht einem Lotteriespiel, und wir lesen immer wieder Krankenhausbriefe auch von Schwerkranken, wo Kontrolltermine eingefordert sind, die schon wieder in der Vergangenheit liegen. In so einem Fall schreibe ich ein Attest, dass dem Arzt (so mal anwesend) oder der Sozialarbeiterin vorgelegt werden soll, in der Hoffnung, dass dann etwas passiert. Wen es als Diabetiker nach Horst verschlägt, der hat Pech. Diabeteskost „is nich“, der muss gucken wie er mit der kartoffel- und nudellastigen Normalkost zurecht kommt. Im Krankenhaus werden die Betroffenen auf Insulin eingestellt, bekommen ein Zuckermessgerät und Teststreifen und werden nach Horst entlassen, sobald sie mit Gerät und Spritzplan leidlich zurecht kommen. In Horst, da Diät nicht möglich ist und alle das gleiche Essen bekommen, bringt das Insulin nicht mehr viel, und die Blutzuckerwerte sind entsprechend katastrophal. Und das liegt nicht an der Messtechnik oder am Blutzuckergerät, die von mir gemessenen Werte sind auch nicht besser. Abhilfe könnte nur durch Unterbringung der betroffenen Familien in einer eigenen Wohnung schaffen, mit der Möglichkeit, die Ernährung selber zu organisieren. Update 16.9.18: Hamburg-Wandsbek, ein paar Tage später Das Asylverfahren hat die Familie erfolgreich durch, sie leben in einem Container, einer sogenannten Folgeunterkunft. Das Team des Integrationskurses fordert die Unterkunftsleitung auf, die Familie woanders unterzubringen, bis die Zimmer komplett saniert sind. Der zuständige Verwaltungsmensch erklärt daraufhin, die Familie sei über drei Jahre hier und habe gar keinen Anspruch mehr auf eine Folgeunterkunft, sie solle sich eine Wohnung suchen. Zum Thema Chemnitz ... Man könnte die schwachsinnige AfD-Argumentation übernehmen und sagen: Diese neun Menschen wären jetzt tot, wenn es Merkels damalige Politik der offenen Grenzen nicht gegeben hätte. Und es wäre mehr als angebracht, wenn die Heldentaten dieser Flüchtlinge auch nur ansatzweise so viel Beachtung fänden, wie die vereinzelt von Geflüchteten begangenen Verbrechen. ... und Seenotrettung: Deshalb werde ich weiter für Seenotrettung und gegen Abschiebung, Rassismus und Naziterror auf die Straße gehen. TAS Norderstedt 5.9.18 Entgiften muss er also allein, und das wird schwierig. Gestern hat er angefangen und nichts mehr getrunken, jetzt sitzt er zitternd vor mir. Immerhin hat er noch keinen Krampfanfall gehabt. Im Krankenhaus gibt man den Leuten Beruhigungsmittel wie Diazepam, gegen das Zittern, die Unruhe und zur Vorbeugung von Krampfanfällen. Aber die kriegt man nicht so einfach. Da trifft es sich gut, dass mir ein regelmäßiger Containertagebuch-Leser kürzlich 50 Euro in die Hand gedrückt hat, „für deine Arbeit“. Ich gehe also in die nächste Apotheke, lege meinen Arztausweis vor und kaufe die Tabletten. Erkläre der Apothekerin auch, was ich damit will. Vorher habe ich mich in der zuständigen Psychiatrie erkundigt, wie man die Dinger bei einem Entzug dosiert. Wobei das nicht so einfach ist, wenn man den Menschen nicht ganztags unter Kontrolle hat, und ich deshalb nicht bei weitem so hoch dosieren kann wie in der Klinik. Zurück in der TAS, bekommt der zitternde Marek eine Tablette zum Einnehmen – schon bald wird er ruhiger und zieht sich auf ein Sofa zurück. Eine Stunde kann ich ihn noch beobachten, dann ist meine Sprechstunde zu Ende. In der Stunde passiert nichts, Jola bekommt drei Tabletten von mir mit dem Auftrag, ihm die nach und nach zu geben, und auf jeden Fall eine für abends vorm Schlafengehen aufzuheben. Morgen wollen wir uns wieder in der TAS treffen, dann sehen wir weiter. Für Notfälle hat die TAS meine Mobilnummer. Ob das klappt, weiß ich nicht. Weil so eine Entgiftung während der Obdachlosigkeit schwieriger ist als in einer Wohnung. Aber Marek hat bessere Chancen als andere „Kollegen“, weil er eine Freundin hat, die sich um ihn kümmert. Das haben nicht viele Männer in dieser Lage. Und eine die sich mit Alkoholentgiftung auskennt. Weil sie das schon selber durchgemacht hat, und nicht nur einmal. TAS Norderstedt 6.9.18 Ich bin schon fast weg, da steckt mir Piotr (Name geändert) seinen geschwollenen Fuß entgegen. Alte verschorfte Operationsnarbe, der Fußrücken ist fleckig-rot. Sieht nach Erysipel d.h. Wundinfektion aus. Den Schorf lassen wir lieber drauf, so schlimm sieht das um die Narbe nicht aus. Aber Antibiotika könnte der Mann gebrauchen, sowas hab ich nicht im Kofferraum. Aber zum Glück ist von Thomas’ Spende noch was da, also wieder in die Apotheke, 30 Tabletten Clindamycin 600 gekauft für 27 Euro, die Diazepam hatten 13 gekostet – da waren’s nur noch zehn. Ich sag den andern am Tisch, sie möchten mit aufpassen, dass er die Tabletten nimmt – ein alter Deutscher setzt das gleich um, mit entsprechender Gestik: „Du essen Tablette, sonst Bein ab!“ Euer Ernst Soldan. |
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… Bis demnächst! |
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Änderung: 19/9/18 |
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