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  "Containertagebuch 63"

Berichte
des Norderstedter Hausarztes
Ernst Soldan über seine Arbeit
mit Geflüchteten und Obdachlosen

   
   
   
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    Ich liebe meine Patientinnen und Patienten.

OK, nicht alle, das tut kein Arzt, wenn er ehrlich ist. Aber sie bauen mich immer wieder auf.

Da ist die Frau aus dem Nahen Osten, seit Kleinkindalter in Deutschland, wir sind inzwischen befreundet. Und da ist die Syrerin, erst kurz hier, und spricht kaum Deutsch. Beide haben einen Eisenmangel mit Blutarmut und Schwindel, wie ihn viele Frauen haben, vor allem junge oder solche nach mehreren Geburten. Man gibt Eisentabletten, und meistens wird es nach einer Weile besser.

Den Eisenmangel samt Blutarmut bei der Syrerin haben wir eben entdeckt. Nur, wie erklärt man das jemandem, die grad noch das Wort Eisen versteht, aber nicht, was das mit ihrem Blut zu tun hat? Und dass es dafür Tabletten gibt, die vielleicht Durchfall oder Verstopfung machen und einen schwarzen Stuhl, aber nach einer Weile bewirken, dass man nicht mehr so schlapp ist?

Während ich nach verständlichen Worten suche und sie in meinen Google-Übersetzer Deutsch-Arabisch eingebe, fällt mir ein: Da kennst Du doch jemand. Ich rufe sie an, erzähl ihr das von der Syrerin mit Eisenmangel und sie antwortet: "Gib mal her." Ich geb der Syrerin mein Telefon, es folgt ein längeres Gespräch von dem ich nichts verstehe, und am Schluss gibt sie mir das Telefon zurück und bedankt sich. Jetzt muss ich mich nur noch bei meiner Freundin bedanken und die Eisentabletten aufschreiben.

Da ist der Rentner, der gebrauchte Computer sammelt und aus drei oder vier defekten Geräten ein funktionierendes zusammenbaut. Dann ruft er mich an oder mailt, ob ich jemand kenne, der/die kein Geld hat und einen Computer braucht. Ich kenne eigentlich immer jemanden, und dort fährt er dann hin, installiert die Anlage und erklärt sie. Und steht zur Verfügung, wenn mal was nicht funktioniert.

Und da ist der junge Mann, hat Asthma seit Kindheit und ist regelmäßig beim Lungenarzt. Jetzt will er eine neue Überweisung dorthin haben, die 2. im Quartal, und normalerweise dürfen wir nur eine. Ich frag ihn, warum er die braucht. "Ich will den Lungenarzt wechseln. Meiner hat die Feinstauberklärung unterschrieben. Die, wo drin steht, dass das alles nicht so schlimm ist. Da kann man doch kein Vertrauen mehr haben."

Es gibt 3800 Lungenärzte in Deutschland, unter dieser Feinstaub-Absolution stehen 107 Unterschriften darunter nicht nur von Lungenfachärzten, sondern auch von einem Ingenieur und Dieselentwickler (https://www.spiegel.de/auto/aktuell/stickoxide-co-autor-des-positionspapiers-ist-diesel-entwickler-a-1249946.html). Und die sind lautstark in der Presse vertreten, und die andern nur manchmal, so wie hier: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/feinstaub-positionspapier-lungenarzt-widerspricht-seinen-kollegen-a-1249884.html. Muss noch dazu anmerken, dass mir dieser Patient bisher nicht durch politische Stellungsnahmen aufgefallen ist, und dass ich in dieser Richtung bisher keine Propaganda gemacht habe.

   
    Hamburg, 21.4.19, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE)

Der aus Kamerun stammende BWL-Student William Tonou-Mbobda steht rauchend vor der UKE-Psychiatrie. Plötzlich wird er von Angehörigen des Sicherheitsdientes aufgefordert, ein Medikament zu nehmen und dazu auf die Station zurück zu kommen. Als er dem nicht im geforderten Tempo nachkommt, wird er von den Sicherheitskräften gepackt und in die Klinik geschleift,. dabei bricht er zusammen, muss reanimiert werden und stirbt fünf Tage später.

Mehr dazu: https://www.zeit.de/hamburg/2019-05/uke-hamburg-patient-william-tonou-mbobda-fixierung-tod-gewalt-rassismus/komplettansicht.

 Freunde, Passanten und einzelne Klinikmitarbeiter sind entsetzt. UKE-Leitung und Sicherheitsdienst weisen jede Schuld von sich. Persönlich kann ich nichts dazu sagen, weil ich nicht dabei war. Aber nach allem, was bisher bekannt ist, kann man so mit Menschen nicht umgehen. Auch nicht im oft konflikthaften Umfeld der Psychiatrie.

Deshalb gibt es eine Demo am Samstag 25.5. ab 12:00 Uniklinik Eppendorf Gebäude W 35 (Psychiatrie), Nähe Haupteingang.

   
   

… Bis demnächst!

   
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Letzte Änderung:
09/05/19
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