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"Containertagebuch 73"
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Hamburg-Harburg, Oktober 2022 Die Erstaufnahmestation für ukrainische Geflüchtete im ehemaligen Krankenhaus Borstel ist mittlerweile aufgelöst. Zuletzt waren
unsere ärztlichen Dienste auch nicht mehr gefordert, da die verbliebenen Bewohner und Bewohnerinnen, meist schwerbehinderte Frauen
oder Mütter mit behinderten Kindern, bei den Hausarztpraxen der Umgebung untergekommen waren. Seit Juli hab ich einen neuen Flüchtlingsdoc-Job, diesmal in Harburg. Als ich die Unterkunft auf der Seite des Hamburger Verkehrsverbundes suchte, zwecks Klärung, wie man da hinkommt, wurde mir die Station "Schlachthofstraße Nord" vorgegeben. D a fühlt man sich als Geflüchteter doch gleich heimisch. Anfangs war es aufgrund sommerlichen Schienenersatzverkehrs und eines LKW-Brandes ausgerechnet unter "meiner" S-Bahn-Brücke ein
Gegurke, da überhaupt hinzukommen (der blöde LKW-Fahrer hätte sein Vehikel ruhig woanders abfackeln können), aber irgendwann stand
ich vor der ehemaligen Fegro-Großmarkthalle. In der Riesenhalle konnten die Kinder im Juli noch Fußball spielen, es war nur ein
kleiner Teil mit Stellwänden verbaut, die 12er-Abteile, sogenannte Compartments, bilden sollten, mit jeweils 6 Stockbetten drin,
Schallisolation Null. Im Außenbereich, unter dem ehemaligen Parkplätzen - dh immerhin noch überdacht - hat man Dixie-Klos und
Duschkabinen aufgebaut, das wird noch ordentlich kalt werden. Ein Arztzimmer ist eingerichtet, mit den nötigsten Untersuchungsinstrumenten und einem Arzneischrank mit Basismedikation. Immerhin mehr Platz als ich anfangs am Hauptbahnhof im Container hatte. Und wie am Hauptbahnhof 2015/16 werden alle Konsultationen in ein großes Buch eingetragen, mal mehr, mal weniger lesbar. Insgesamt wird man einigermaßen draus schlau. Was wir nicht selber können, schicken wir weiter. Vor dem Gelände stehen einige Autos mit ukrainischen Nummern - im Gegensatz zu Geflüchteten aus dem nahen Osten sind einige
Familien damit bis hierhergekommen. Manche Leute sitzen drin und holen sich so ein bissl Privatsphäre, die sie in der Halle nicht
haben. Aus den Kennzeichen, wenn man sie googelt, sieht man, dass sie aus Kriegsregionen kommen:
Zweimal im Monat bin ich jetzt dort, 3-4 Stunden, ich hab ja noch andere Baustellen. Neben Ukrainerinnen - wenn ich das russische Wort nicht weiß, versuch ich's auf kroatisch, das klappt oft - sind viele Afghanen da, Iraner, Syrer und Kurden, letztere meist aus der Türkei. Überhaupt verstehen auch viele Syrer und Afghanen türkisch, weil sie dort lang im Transit waren und weil im Farsi (das nicht nur im Iran, sondern auch in weiten Teilen Afghanistans verstanden wird) viele türkische Brocken enthalten sind, wie tashakor/tessekür = Danke, yavash yavash = langsam oder ameliyat = Operation. Es hat sich auch gelohnt, dass ich nach meinem ersten Türkischkurs, noch als Student, danach zwar im Restaurant kein Essen bestellen, aber verschiedene heikle Sachen fragen konnte, wie "brennt's beim Pinkeln", "haben Sie jetzt Periode" oder "haben Sie Blut im Stuhl". Denn wenn man einen Urin untersucht, will man ja schon wissen, ob das Blut, das man auf dem Teststreifen sieht, von einer Blasenentzündung kommt oder eben von der Periode. Zum Glück hatte heut auch keiner meiner Hustenden Corona - inzwischen hab ich die Erfahrung gemacht, dass ein Schnelltest innerhalb der ersten zwei Minuten positiv wird, wenn der Mensch Corona hat, oder man nach 2 Minuten Negativität ziemlich sicher sein kann, dass es auch so bleibt. Wie beim Schwangerschaftstest. Überhaupt schwanger. Nach der 2. Patientin kam jemand von der Organisation und bat mich, alle sich vorstellenden Frauen im
entsprechenden Alter zu fragen, ob sie schwanger sind - weil demnächst eine Hebamme vorbeikommt. Notfalls bleib ich beim Bauchsymbol, wenn ich das andere wieder vergesse. |
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Der Soldan-Bericht 73 als PDF zum Download: —> | ||||
Letzte Änderung: 21/10/22 |
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